Eigentlich müsste es „Notiz von der Empore“ heißen, denn von dort, sozusagen aus luftiger Höh‘, verfolgte ich vorgestern in guter Gesellschaft Marion Poschmanns Auftritt bei Literatur: Literatur! der Reihe der Literarischen Gesellschaft Ruhr im Leseraum in der Essener Akazienallee. Im Gepäck hatte sie ihr aktuelles Buch „Chor der Erynnen“, ihren Parallelroman zu „Die Kieferninseln“.
Es war mein erstes Mal im Leseraum gleich neben meiner wunderbaren Lieblingsbuchhandlung Proust. Ein kleiner, dank Empore und großem Schaufenster lichter Raum, mit büchergesäumter Treppe und viel Atmosphäre. Die Bühne wie eingekuschelt unter dem einen Schenkel der rechtwinklingen Empore, sodass wir vom anderen wie aus einer Seitenloge hinunter zur Schriftstellerin sahen, während der Moderator Norbert Wehr im Winkel unter uns kaum mehr zu sehen war.
Ach, wäre er doch bloß genauso wenig zu hören gewesen. Der Mann hat als Herausgeber des Schreibhefts unbestreitbar seine Verdienste, und er hat sich ganz bestimmt auch vorbereitet, allein, dem Wunsch des Publikums, von Marion Poschmann selbst möglichst viel aus ihrem Buch und über ihre Arbeit zu hören, wurde er so gar nicht gerecht. Zu sehr gefiel er sich in seinen ausschweifenden Fragen, zu wenig verstand er es, aus dem Zusammenspiel mit Marion Poschmanns freundlich-nachdenklichem Herantasten beim Antworten einen Dialog zu weben.
Der Frau mit der spitzbübischen Art und der überraschend hellen Stimme hätte ich so gerne viel länger zugehört – wie wohl alle im Leseraum hätte ich mich gefreut, der dritten Szene aus „Erynnen“ zu lauschen und ich hätte ganz sicher nichts dagegen gehabt, noch viel mehr darüber zu erfahren, wie sie arbeitet: wie aus Mikronotizen im Dunklen tastend ihre Texte entstehen, ob das bei ihrer Lyrik genauso oder ganz anders ist, was es genau ist, dass sie immer wieder auf ihre so besondere Art die Natur in Literatur überführen lässt, diese und andere Fragen hätten mich wirklich brennend interessiert.
Stattdessen ritt Norbert Wehr z.B. auf der Frage herum, ob Poschmann „Erynnen“ und „Kieferninseln“ statt als Parallelromane auch in einem einzigen Buch hätten erzählt werden können. Ganze drei Mal wollte er das wissen, obwohl Poschmann doch bereits beim ersten Mal freundlich bedacht erklärt hatte, nein, dann sei ja der Witz weg, der gerade darin bestünde, dass jedes Buch aus Sicht einer Person erzählt wird, die eben genau nicht weiß, was die Gattin/der Gatte gerade jetzt macht. Hätte es genützt hinzuzufügen, dass dies im Wechsel erzählt, dem Publikum einen Vorteil vor den Figuren verschafft hätte, während es in der gewählten Form zweier Romane jeweils an der Seite einer einsamen Figur mitliest und eben auch mitspekulieren muss, was den abwesenden Anderen angeht? Womöglich hätte Wehr auch das nicht verstanden, denn mir kam sein unsinnig insistierendes Fragen vor wie das häufig im Fernsehen zu beobachtende Nachbohren von Journalisten bei Politikern, die damit keineswegs investigativ sondern als Verschwender von Sendezeit rüberkommen. Völlig unbeeindruckt beharrte er auch darauf zu wissen, dass die Autorin ein Traumtagebuch führt – ohne sich nur im Ansatz bewusst zu werden, dass eben dieses Beharren angesichts ihrer leicht erschrockenen Verwunderung über dieses Wissen beinahe stalkerhaft wirkte.
Immerhin sorgten des Moderators nervige Fragen für witzige Verschwisterungen bei uns oben auf der Empore. Ich hoffe also einfach auf eine neuerliche Gelegenheit, Marion Poschmann zuzuhören und werde ansonsten auf wehr-lose Lesungen im Leseraum warten. Dass es mir allerdings gelingen wird, trotz meines beachtlichen Stapels ungelesener Bücher solange mit dem Erwerb von „Chor der Erynnen“ zu warten, bis dieses als Taschenbuch erscheinen wird, wage ich zu bezweifeln. Um mich zu ködern, zu verlocken, ja, fest am Haken zu haben, dafür reichte die Zeit, die Poschmann vorgestern in Essen hatte, allemal. Was ganz sicher ein Glück ist.