Mal angenommen, Ihr wollt mit Euren Liebsten in Urlaub fahren, und eine wilde Diskussion entbrennt, wohin die Reise gehen soll: die eine Hälfte will in die Berge, die andere ans Meer. Wie würdet Ihr das Problem lösen?
Ihr könntet getrennt verreisen, was aber nicht das ist, was alle wollen – denn alle wollen ja zusammen Urlaub machen. Ihr könntet also den Urlaub aufteilen, indem Ihr eine Woche am Meer und eine Woche in den Bergen verbringt. Ihr könntet Euch ein Ziel suchen, wo beide Sehnsüchte befriedigt werden – etwa eine Insel mit Bergen. Oder Ihr könntet Euch auch für ein ganz anderes Ziel entscheiden, etwa gemeinsam in eine Wüste zu reisen.
Okay, jetzt nehmen wir an, Eure Liebsten sind zahlreich genug, dass es eine Mehrheit von 51% für die Reise in die Berge geben kann – würde das etwas an Eurem Vorgehen ändern? Würdet Ihr keinen Kompromiss mehr suchen, sondern in die Berge fahren – punkt aus Ende?
Oder, noch anders gedacht (denn, ganz klar, in Zeiten von COVID-19 ist das mit dem Reisen ja eine echte Herausforderung für die Vorstellungskraft ;-)): stellt Euch vor, dies wäre die beste aller Welten mit lauter Menschen, die sowohl Verstand als auch Empathie besitzen und die in der Lage sind zu erkennen, dass der Tellerrand nicht der Horizont ist und kein Mensch die Wahrheit gepacktet hat. Wenn diese Menschen am Ende einer demokratischen Wahl zwischen zwei Alternativen mit einem ganz knappen Ergebnis dastünden – 51 % zu 49 % oder noch enger – würden die reagieren wie wir hier, wo die 51% dann den ganzen Sieg davon tragen?
Als ich mich heute morgen fragte, wie die US-Wahl und das Elend der Auszählung danach wohl für hochentwickelte Aliens aussehen würde, die das Ganze rein rational betrachten, kam ich jedenfalls ins Grübeln. Wir finden es völlig normal, dass man mit 51% eben der Sieger ist und basta. Aber das müsste gar nicht so sein. Nach einer so knappen Wahl könnten auch alle einen Schritt zurücktreten, sich am Kopf kratzen, und erstmal feststellen, dass ungefähr genauso viele Menschen für das andere Lager gestimmt haben wie für das eigene. Und dann könnten sie noch einen Schritt zurück und drei aufeinander zu machen und anfangen darüber nachzudenken, ob da nicht was dran ist. Ob sie sich nicht vielleicht besser gemeinsam nach besten Kräften an die Arbeit machen. Was wäre damit nicht alles möglich in einer idealen Welt.
Allerdings fürchte ich, orangene Männer mit chronischem Verbaldurchfall sind ein ziemlich sicheres Zeichen, dass das hier nicht die ideale Welt ist, sondern nur die einzige, stinknormale, verrückte, wunderbare, zerbrechliche, die wir nun mal haben …