Nachdenken über die Angst

Über Ängste nachzudenken, sie wahrzunehmen, ihnen aber nicht blindlings nachzugeben, sich nicht von ihnen überwältigen zu lassen – das war und ist essenziell im Umgang mit der PTBS und das tut jetzt, in Zeiten von Covid-19 ebenfalls not. Denn eigentlich ist Angst ja ein sinnvolles, potenziell lebensrettendes Gefühl, jedenfalls, sofern sie sich auf eine reale Gefahr richtet bzw. man ihre Quelle korrekt identifiziert.

Das Virus ist real, keine Frage. Und es ist eine echte Bedrohung, nicht nur für diejenigen, die schwer erkranken (und die Wirtschaft, die Börsen und die Banken, das ganz globalisierte System, indem wir es uns so bequem gemacht haben), sondern darüberhinaus für unsere Gesundheitssysteme und Gesellschaften im Großen und unsere individuellen Pläne und Vorhaben im Kleinen. Ich jedenfalls stelle gerade verschiedene Veranstaltungen, an denen ich fest geplant hatte, als Akteurin teilzunehmen, auf den Prüfstand.

Lauter Einzelfallentscheidungen: Gehe ich zum Rehasport oder lasse ich es bleiben? Fahre ich in die Stadt, um Besorgungen zu machen oder lässt sich das verschieben, online erledigen? Soll man kleine Lesungen (zu meinen kommen ja wahrlich selten 1000 Leute ….) halten oder absagen bzw. verschieben, aber wenn verschieben, wohin? Und was ist mit der Teilnahme an größeren Veranstaltungen wie der CRIMINALE 2020, die Mitte April in Hannover stattfinden soll?

Bei meinen Schul- und Univeranstaltungen überlasse ich die Entscheidung dem jeweiligen Veranstalter, das geht so in Ordnung für mich. Beim runden Geburtstag in der Familie, der ohnehin nur im ganz kleinen Kreis gefeiert wird, würde ich nie der Jubliarin vorgreifen. Das ist zumindest im Moment meine Haltung, meine Logik, sozusagen.

Alles ist doppelt – einerseits mache ich brav alle Nach- und Vorbereitungen für all meine Kurse und Veranstaltungen und habe doch die ganze Zeit im Hinterkopf, dass sie womöglich nicht/nicht so/nicht jetzt stattfinden werden. Andererseits ist da, nun ja, diese seltsame Stille da draußen und das Rumoren tief drinnen.

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen und Euch geht, aber in meiner Wahrnehmung ist das Leben da draußen bereits deutlich anders. Nach dem großen Ansturm auf  die Läden waren diese hier in Essen in den letzten Tagen deutlich leerer. Genau wie die U-Bahnstationen, die Straßen und die Cafés auch. Noch sieht das nicht nach Quarantäne oder gar Geisterstadt aus, noch könnte das auch einfach so ein trüber Tag sein, wo alle woanders sind. Trüb und regnerisch und wenig einladend draußen ist es ja nun auch.

Und dann ist da das Rumoren, von dem ich noch nicht mal sagen kann, ist das einfach nur ein unbestimmtes Unwohlsein, weil wir halt alle gerade in einer unsicheren, praktisch nicht vorhersehbaren Entwicklung stecken, oder ist das schon Angst. Und wenn es Angst ist, wovor genau habe ich persönlich eigentlich Angst?

Soweit bekannt, gehöre ich nicht zu den Risikogruppen – aber meine Eltern, Freunde und je nach Nachrichtensender womöglich sogar mein Herzallerliebster schon. Fürchte ich um sie, und das mehr, konkreter, als das Wissen um die Vergänglichkeit mich generell, grundlos in manchen Momenten immer wieder mal anspringt? Fürchte ich mich vor einem großen Ausbruch, dass wir hierzulande Italien vielleicht nur um ein paar Tage oder Wochen hinterherhinken könnten?

Ich weiß  es nicht, und das Nichtwissen, das scheint mir dann noch das Konkreteste. Wir wissen noch viel zu wenig über das Virus und seine Auswirkung – wir wissen nur, es stellt eine potenzielle Gefahr dar. Wir versuchen zu reagieren, nicht so hilflos zu sein. Alles verständlich, alles sinnvoll. Und alles anstrengend, denn hier gibt es kein „Ein-für-allemal“. Wenn es um Klimawandel und Ethik geht, mag mancher sich denken, ich verzichte nun immer auf XYZ, das ist mein Beitrag und fertig. Aber angesichts der aktuellen Unsicherheiten und Herausforderungen durch Covid-19 wird zumindest mir wieder bewusst, dass die Anstrengung darin besteht, die Lage und das eigene Verhalten, die eigene Rolle und eben auch die eigene Angst jeden Tag und jeden Moment neu zu bewerten und anzupassen.

Passt auf Euch auf. Ich versuch’s auch.

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