After Midnight

Was wäre, wenn in einem Paralleluniversum die Alter Egos von Eric Clapton, Johnny Cash und Leonard Cohen einander in einem Diner in Monessen im amerikanischen Rustbelt begegneten und dort im Schneesturm den Sylvesterabend miteinander verbrächten? Im Essener Grillo-Theater führte dieses Gedankenspiel zu „After Midnight„, geschrieben von Florian Heller nach einer Idee von Thomas Büchel und inszeniert von Intendant Christian Tombeil, zu einer musikalisch mitreißenden Premiere am gestrigen Samstagabend.

Ohne Pattie (Laura Kiehne) läuft nichts im „After Midnight“, an dessen Theke sich mit Cassiua (Jan Pröhl), Rick (Philipp Alfons Heitmann) und Norman (Jens Winterstein) die Alter Egos dreier Musikergrößen versammelt haben. Foto: Diana Küster

Fast drei Stunden dauert der Abend, durch den als Erzählerin die Diner-Betreiberin Pattie, so überzeugend gespielt wie gesungen von Laura Kiehne, führt. Zitate z.B.  aus den Biografien der drei Musiker werden zu Dialogen und Spielszenen, die immer wieder in den Liedern der drei Stars münden. Die Rahmenhandlung ist einerseits rasch erzählt: Rockmusiker Rick (Philipp Alfons Heitmann) hofft am Sylvesterabend auf den Durchbruch mit seiner Band „The Hawks“, Handelsvertreter Cassius (Jan Pröhl) weht der Schneesturm nach einer Autopanne herein und Dichter Norman (Jens Winterstein) bringt eine Recherche ins Niemandsland. In dem wiederum versucht Patties Stiefvater Robert (Rezo Tschchikwischwili) an seinem letzten Arbeitstag als Sheriff für Ordnung und Sicherheit auf den zugeschneiten Straßen zu sorgen. Andererseits gibt es noch ein zweites „Was wäre wenn“ in dieser Geschichte: was wäre, wenn man die Zeit anhalten und zurückspulen könnte, um grobe Fehler zu vermeiden? So werden letztlich vier Versionen erzählt bwz. drei tragische bis tödliche Versionen vermieden, um am Ende zu so etwas wie einem versöhnlichen Happy End zu kommen, über dessen lose Fäden und offene Fragen man nicht zu viel nachdenken sollte …

Allerdings vermute ich, das werden die wenigsten Besucher tun, wo der große Star des Abends ohnehin, wie könnte es anders sein, die Musik ist. Jan Pröhl klingt so sehr wie Johnny Cash, dass man es gehört haben muss, um es zu glauben. Jens Winterstein spielt den berühmten Barden Cohen voller Würde und dazu mit der richtigen Dosis Selbstironie, um glaubwürdig (und nicht etwa pathetisch) rüberzukommen. Phillip Alfons Heitmann als Claptons Alter Ego ist eine Klasse für sich – die ersten zwei, drei Töne jedes seiner Songs könnte man meinen, Slowhand selbst stünde am Mikro, dann kippt etwas, und Ricks echte, höhere Stimme übernimmt. Schwer zu sagen, ob dieser Gast auf der Essener Bühne nun mehr Musiker oder doch mehr Schauspieler ist, sehens- und hörenswert ist er allemal. Wozu mit Sicherheit Hajo Wiesemann als musikalischer Leiter und seine Band das ihre beitragen, so dass es am Ende eigentlich eine müßige Frage ist, ob dies nun ein Liederabend mit Stückanhang oder ein dreifaches, spekulatives Bio-Drama mit viel Musik ist: Es ist ein Abend mit verdammt viel verdammt guter Musik. Und wenn Sie auch nur einen der drei „großen C’s“ lieben, wird das mit Sicherheit auch Ihr Abend sein.

Diner im Schnee und die Frau (Laura Kiehne) mit dem Feuer – denn am Ende ist doch alles irgendwie Schall und Rauch … Foto: Diana Küster

Denn, wie gesagt, vermutlich wird außer mir sich kaum jemand fragen, was denn nun wirklich mit Cassius los und was tatsächlich in seinem Koffer ist, und ob nicht vielleicht zwei Prämissen (was wäre wenns …) eine zu viel sind und Schlussbilder nicht stärker wären ohne Monologe. Die 23 Lieder sind nämlich genau die richtige Dosis.

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