Nach einem Workshoptag an der Uni mit Jeanette Wintersons „Written on the Body“ ins Aalto-Theater zu eilen, um dort den „Ring an einem Abend“ zu sehen und vor allem zu hören, ist das zu viel des Guten, oder, wie meine liebste Opernkennerin meinte, genau das Richtige? Gestern habe ich genau das gemacht und festgestellt: es passte perfekt 🙂
Kürzen ist ja an sich schon eine Kunst. 15 Stunden Musik auf 210 Minuten einzudampfen und mit so wunderbar pointierten Texten zu versehen, dass sich der große Bogen von Richard Wagners Opern-Tetralogie klar abzeichnet, das konnte nur ein so gebildeter, mit einzigartigem Humor begabter Menscht wie Loriot. „Um Wagners Verehrern Lust auf den ganzen Ring zu machen und den Verächtern endlich das Material zu geben, ihre Ablehnung zu untermauern“, heißt es sinngemäß in der Einführung, und ich denke, das Konzept geht auf. Ich wäre jedenfalls entzückt, demnächst das „Rheingold“ auf dem Aalto-Spielplan zu finden.
Man kann sich vor diesem „Ring an einem Abend“ nur verbeugen – vor Viktor von Bülows Kenntnis und Verständnis von Wagners Werk, vor Wagners Musik und den Musikern des Essener Aalto-Theaters, vor Jens Winterstein als Sprecher und natürlich vor all den hervorragenden Solisten. Albrecht Kludszuweit hat nicht nur Stimme, sondern obendrein jede Menge Witz, weshalb er mich als Loge wie als Mime amüsierte und überzeugte. Thomas Jesatko sieht im Abendanzug zwar eher wie ein Vorstandsvorsitzender aus, aber sein Wotan ist voller Tiefen und Nuancen, ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen. Bettina Ranch als Fricka ist der perfekte Widerpart für ihn, während Jessica Muirhead als Sieglinde einfach nur mitreißend ist. Und selbst, wenn Brünnhildes Part Höhen hat, die meinen Ohren nicht bekommen, ist Daniela Köhler in dieser Rolle schlicht zum niederknien.
Das Ganze konzertant zu erleben, hat einen eigenen Reiz. Das Orchester mal in Lebensgröße auf der Bühne zu sehen statt auf Köpfe im Orchestergraben zu blicken, hat was. Und ohne Bühnenbild, ohne Kostüme, ohne inszeniertes Tamtam lenkt nichts ab von der betörenden, spannenden Musik. Ob das für die Texte des Librettos ebenfalls durchweg als Vorteil angesehen werden kann, ist eine andere Frage. Einerseits fällt schon auf, dass Wagner seine Worte wohl wägend wählt – ohne Zweifel wusste er um die Wirkung von Alliterationen und hat sich auch um den Klang der Sprache Gedanken gemacht. Allerdings ist der Ausdruck dabei teils so gestelzt, dass die Bedeutung abhanden zu kommen droht. Nun sind Libretti selten intelligente Texte und Opern erzählen nur in Ausnahmefällen logische Geschichte auf innovative Art. Die Figuren und Motive aus der Nibelungensage und der Welt der germanischen Götter, die Wagner in seinem Ring variiert und mixt, sind da keine Ausnahme. Das zielt eindeutig auf Pathos, nicht auf Logos, um’s sehr bildungsbürgerlich zu sagen.
Zugleich passt das aber auch zu Jeanette Winterson und ihrem eher kurzen Roman „Written on the Body“. Wo Wagner sich auf Nibelungen und andere Sagenschätze beruft, zitiert sie Shakespeare und die Bibel. Wo Wagner mit Alliterationen in den Texten und miteinander verwobenen, immer wieder variierten, immer wieder wiederkehrenden Leitmotiven arbeitet, spielt sie mit allerlei rhetorischen Figuren, mit Predigtformen, Sonetten, poetischen Fragmenten. Verrückt – weder Wagner noch Winterson sind, so scheint es mir, ohne entsprechendes, kulturelles Vorwissen, das man gemeinhin mit Bildungsbürgertum in Verbindung bringt, bestenfalls oberflächlich zu verstehen. Wer hätte so eine Parallele zwischen dem Patriarchen vom grünen Hügel und der vielfach ausgezeichneten, lesbischen Schrifstellerin vermutet. 🙂