Medea

Die Herausforderung zeitgenössischer Musik trifft auf die Zumutung eines archaischen Stoffs und dank stimmiger Inszenierung (Kay Link) und einem beeindruckenden Bühnenbild (Frank Albert) wird ein Gesamtkunstwerk daraus – so ließe sich die gestrige Premiere von Aribert Reimanns Oper „Medea“ im Essener Aalto-Theater zusammenfassen. Wie passend, dass nicht jeder Zuschauer bis zum Schluss blieb, doch die, die es taten, den Abend mit viel Applaus feierten.

Ein Akt der Selbstbefreiung? Medea (Claudia Barainsky) befreit sich vom Versuch, sich den Griechen anzupassen. (Foto: Monika Forster)

Moderne, zeitgenössische Musik ohne Melodie und Rhythmus, das ist ungewohnt und ganz sicher nicht eingängig wie etwa die Opern des 19. Jahrhunderts. Während letztere hauptsächlich auf den Bauch und das Herz zielen, sollte man bei heutiger Musik den Kopf unbedingt einschalten. Aber das Ungewohnte, Andere der Musikerfahrung passt hervorragend zu Medea (Claudia Barainsky), der Fremden in der Fremde, der Barbarin unter Griechen, der Zauberin verloren in der Zivilisation.

Diese Zivilisation wird durch einen gewaltigen Aufbau dargestellt, der fast die gesamte Bühnenbreite einnimmt und gefahren werden kann. Die steilen Treppen, die ein Raum auf Stelzen überragt, erscheinen je nach Stand der Drehbühne mal als Stadt, mal als Tempel oder auch als Labyrinth. Doch eines bleiben sie immer: abweisend gegenüber der Frau aus Kolchis.

In der Ästhetik der hellgrau-weißen Bühne spiegelt sich Antikes mindestens genauso sehr wie das, was man sich in 1960ern und 1970ern unter futuristischer Architektur vorstellte. Die Kostüme dagegen erinnern an Verfilmungen von Jules Verne – alte Vorstellungen der Zukunft, sozusagen, die zugleich perfekt die ferne Vergangenheit von Medeas Tragödie rahmen. Sie ist uns eben fern und fremd, so oder so.

Fremd bleibt mir teils auch der Gesang – nicht der Sänger wegen, sondern weil mir immer wieder der Sinn dafür fehlt, den Zusammenhang zwischen Musik, Text und Gesang zu erkennen. Was beileibe keine Eigenheit zeitgenössischer Musik ist, sondern mehr oder weniger in jeder Oper für mich wenigstens passagenweise so ist. Oft frage ich mich, warum wird eine Passage so und nicht anders gesungen? Was ist daran „zwingend“? Und wäre ich in der Lage zu hören, wenn etwas anders gesungen würde, als vom Komponisten vorgesehen?

Wie ich schon sagte, bei moderner Musik sollte man den Kopf einschalten, dann hat man mehr davon. Selbst, wenn man wie ich nicht alles versteht, nicht mal ansatzweise.

Und all das passt für mich, um den Bogen zu schließen, perfekt zu Medea. Denn die Königstochter aus Kolchis, die ihre Kinder tötet, bevor sie sie den Griechen überlässt, die sie verachten, ist gewissermaßen ihrem Wesen nach das Unverständliche, Unerklärliche per se. Ergo ist das, was Reimann, Link, Albert zusammen mit den Musikern und Sängerinnen geschaffen haben, ein Gesamtkunstwerk, das die Anstrengung lohnt.

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