Auerhaus

Hat das Leben mehr zu bieten, als den Dreiklang aus Geburt, Schule und Arbeit gefolgt vom unvermeidlichen Ende, dem Tod? Und wie soll man als Heranwachsender auf diese Erkenntnis reagieren: alles rausholen aus dem Leben oder den Freitod wählen? Frieder (Philipp Noack) entscheidet sich für letzteres, wird jedoch gerettet. Das ist die Ausgangssituation von „Auerhaus„, dem Jugendstück nach dem Roman von Bov Bjerg, das gestern in der Inszenierung von Karsten Dahlem in der Essener Casa Premiere feierte.

Verrückt? Lebensmüde? Oder vor allem jung? Henriette Hölzel (Pyromanin Pauline), Philipp Noack (depressiver Freitodkandidat Frieder), Alexey Ekimov (Harry, Elektrikerlehrling mit Hang zu Hanf), Silvia Weiskopf (Vera, die an die freie Liebe glaubt) in „Auerhaus“.
Foto: Martin Kaufhold

Links sitzt der Musiker (Philipp Zdebel) umgeben von seinen Instrumenten, der Rest der Bühne ist zunächst bis auf die fünf Mikrofonständer direkt vor der ersten Reihe leer. Es treten auf: der lispelnde Höppner (Stefan Migge), Ich-Erzähler des Romans und der beste Freund Frieders, seine Freundin Vera (Silvia Weiskopf), ihrer aller Mitschülerin Cäcilia (Henriette Hölzel) und Elektrikerlehrling Harry (Alexey Ekimov). Jetzt, am Mikrofon, sind sie Erzähler, malen mit den Worten des Romans das Setting der Geschichte, das Dorf in den 1980ern, die Jugend, das Problem, wie man mit seinem suizidalen Freund umgehen soll. Doch sobald sie die Technik hinter sich lassen, werden sie zu Figuren im Stück, Menschen, die miteinander agieren. Sie ziehen mich hinein in ihre Geschichte, lassen mich nachdenken über die großen Fragen, die mich schon ein Menschenleben lang begleiten: was ist normal, wer ist verrückt, und spielt der Unterschied wirklich eine wesentliche Rolle?

Tische reichen, um das Auerhaus entstehen zu lassen, den Zufluchtsort, an dem nach Selbstmordversuch und Psychiatrieaufenthalt Frieder mit Höppner, Vera und Cäcilia auf der Suche nach WG-Alltag und Lebenssinn ist und dabei doch immer wieder auf die Fragen nach dem Sinn des Daseins, nach Freundschaft, Liebe und dem Abitur stößt. Das ist vielmehr als eine bloße Coming-of-Age-Geschichte:

WG-Alltag im Auerhaus, wo eigentlich nichts alltäglich ist: Höppner (Stefan Migge), Cäcilia (Henriette Hölzel), Frieder (Philipp Noack), (Vera) Silvia Weiskopf (Foto: Martin Kaufhold)

Klug für die Bühne umgeschrieben von Karsten Dahlem und Judith Heese, und dann stimmig so inszeniert, dass Gefühl und Intellekt angesprochen werden – was will man mehr? Gut, für mich hätte Stefan Migge als Höppner nicht künstlich lispeln müssen; den verunsicherten Freund, der es allen Recht machen will und dabei immer wieder so unbeholfen ist, wie man eben als Teenager ist, glaube ich ihm auch so. Und das samt Liebesverwirrung zwischen Freundin Vera und schwulem Lehrlings-Dealer Harry. Und obwohl das ganze kleine Ensemble mit Haut und Haaren dabei ist, gehören zwei doch besonders erwähnt: Philipp Noacks Frieder, der so selbstverständlich zwischen Depression und jugendlichem Lebenswillen wechselt, dass es geradezu erschreckend echt rüberkommt. Henriette Hölzel dagegen zeigt ihre Vielseitigkeit im Wechsel zwischen Cäcilia, dem armen-reichen Mädchen, das Anschluss sucht, und der Pyromanin Pauline, die Frieder liebt, aber die Nähe anderer Menschen kaum aushält.

Am doppelten Ende, in dem Wunsch und Wirklichkeit aufeinanderprallen, gibt es für sie alle verdient lang anhaltenden Applaus. Und ich bin mir sicher, das ist nicht einfach ein Jugendstück, nur weil es junge Protagonisten hat, sondern ein Stück für alle, die sich den großen Fragen des Lebens mit Herz und Verstand nähern wollen, gleich welchen Alters.

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