A Woman Looking at Men Looking at Women (I)

— diesen wunderbar treffenden Titel hat Siri Hustvedt für ihr Essay über drei männliche Künstler (Pablo Picasso, Max Beckmann und Willem de Kooning) und deren ‚Blicke auf Frauen‘ wie für ihre Essay-Sammlung gewählt. Mit letzterer versorgt sie mich gerade mit Lese- und Denkstoff, der spannender nicht sein könnte. Weshalb ich mich nun anhand von einer Handvoll Zitaten kaleidoskopartig daran mache, ihren Einblicken und Wahrnehmungen meine eigenen Beobachtungen beim Lesen zur Seite zu stellen.

A work of art has no sex.

[Siri Hustvedt, A Woman Looking at Men Looking at Women, p. 5]

Natürlich, möchte man vielleicht einwenden, es ist ja kein biologischer Organismus, der sich sexuell fortpflanzt. Dennoch, gerade wenn man sich immer mal wieder mit Genderfragen und Literatur im akademischen Kontext auseinandersetzt und dabei dann auf teils haarsträubende Vorstellungen und Vorurteile trifft (die die meisten KünstlerInnen und SchriftstellerInnen auch immer mal wieder von LeserInnen zu hören bekommen ….), macht es durchaus Sinn, das ganz klar festzuhalten. Insbesondere, wo Hustvedts nächster Satz das Ganze noch einmal deutlich herausstellt:

The sex of the artist does not determine a work’s gender, which may be one or another, or multiple versions thereof.

[Hustvedt, ebd.]

Nein, man muss kein Mann sein, um aus Sicht einer männlichen Figur zu schreiben, man muss auch keine Frau sein, um eine Frau zu malen. Künstler nehmen zwar automatisch sich selbst und ihre Erfahrungen mit, wenn sie sich an die Arbeit machen, aber das gilt für Polizisten und Feuerwehrfrauen, für Ärztinnen und Bäcker ganz genau so. Selbst wenn sich sicherlich die professionellen wie persönlichen Erfahrungen auch in deren Arbeit spiegeln mögen, niemand käme auf die Idee, einem Bäcker zu unterstellen, all sein Backwerk sei überwiegend oder gar ausschließlich autobiographisch motiviert und ich hoffe doch schwer, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, Broten weibliche und/oder männliche Eigenschaften zuzuschreiben.

Bei Kunstwerken dagegen geschieht so etwas immer wieder, ohne dass das nun einen größeren Erkenntnisgewinn verspräche als irgendein anderer Interpretationsansatz. Seltsam … vor allem, wenn man zugleich bedenkt, dass in der bildenden Kunst die Werke männlicher Künstler sehr viel teurer gehandelt werden als die von Frauen — und zwar auch dann, wenn beide vergleichbar berühmt sind. Geschlecht spielt also durchaus eine Rolle in der Kunstwelt. Bloß blöderweise an der falschen Stelle, wenn man so will.

Auch als Betrachterinnen, sei es von Kunst, sei es von Pornographie, sind Frauen nicht so recht vorgesehen, zumindest nicht in den Köpfen von Männern, nicht einmal in dem von Clive Bell, wie Hustvedt in ihrem Essay „Sontag on Smut: Fifty Years Later“ feststellt:

The idea that a woman might be a spectator of a work of art or that her sexual desire might be at stake when she looks at art is nowhere to be found. (This perspective was adopted, I might add, despite the fact that Bell was married to a painter, Vanessa Bell, and was privy to myriad Blomsbury „liberations“ of a homoerotic nature.) Disinterested, formal considerations of art – analyses of aesthetic obejcts as things that have no relation to the viewer’s or reader’s body – are absurd. […] We, all of us, men and women, with our diverse sexual appetites, longings, and wishes, are not beings that can be cut in two, as minds and bodies, as the lingering Cartesian legacy would have it, and we are not beings that can be cut off from others either without dire consequences. The thought that pornography can be aesthetic and arousing remains dangerous even today because it forces an admission that human beings are body subjects and that the old division between man as more-mind-than-body and women as more-body-than-mind is nonsense.

[Hustvedt, A Woman Looking at Men Looking at Women, pp. 70]

Nun mag es ein weiter Weg scheinen von Gedanken zu Picasso, Beckmann & de Kooning und deren Weiblichkeits-Bildern zu einer Rede Susan Sontags über Pornographie. Aber die Vorstellung, einerseits Menschen konsequent als Körper-und-Geist-Wesen zu nehmen, die u.a. Kunst schaffen und über sich selbst nachdenken, und andererseits dabei darauf zu bestehen, dass der biologische Unterschied zwischen Frauen und Männern keine weitere Rolle spielt, wie ja auch etwa der Unterschied zwischen großen und kleinen Menschen, solchen mit langen oder kurzen Zehen oder dergleichen unwichtig ist, wenn es um deren Wahrnehmen, Denken und Fühlen geht, hat was. Etwas erfrischend anderes, befreiendes, das zumindest mir Türen in andere Richtungen des Denkens öffnet und mich sensibilisiert, meine eigenen Vorstellungen hierzu neu zu überprüfen-

Aber nicht mehr heute Abend … dazu ist es mir dann jetzt doch zu spät. 🙂

P.S.: Um Konfusion vorzubeugen: Ja, in meiner Sceptre-Ausgabe von „A Woman Looking at Men Looking at Women“ von 2017 sind neben dem titelgebenden Essay und den dazugehörigen Vorträgen auch noch „The Delusions of Certainty“ (das gerade auf Deutsch als „Die Illusion der Gewissheit“ erschien) und „What Are We? Lectures on the Human Condition“ enthalten.

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