Ich habe es ja versprochen, also los geht’s: Wie war nun meine Begegnung mit „Hamlet, Prinz von Dänemark“ in der Inszenierung von Christoph Werner, die ich letzten Donnerstag am wunderbaren Puppentheater in Halle sah? Unglaublich konsequent geht die Regie an Shakespeares ‚Zauderer‘ heran, mit einer Klarheit gedacht, beherzt gekürzt und alles in allem geradezu ergreifend, berührend – so habe ich weder den Hamlet noch Puppentheater generell je zuvor gesehen.
Das beginnt dabei, dass ich Puppen- oder auch Figurentheater bislang als etwas handwerkliches kennengelernt habe: ob als schwarzes Theater, mit Marionetten oder Stabpuppen, etc., eigentlich ist jede Truppe üblicherweise auf eine dieser Techniken spezialisiert. Aber in den jeweiligen Inszenierungen werden die Puppen gleich welcher Art genau so eingesetzt wie menschliche Darsteller am „normalen“ Theater – die Figuren sind mithin am ehesten so etwas wie eine ästhetische Entscheidung.
Wie anders in Halle! Im „Hamlet“ herrscht eine strikte Zweiteilung: auf der einen Seite stehen die Erwachsenen, die Eltern und/oder Autoritätsfiguren, dargestellt von Menschen: Gertud (Lousie Nowitzki), Claudius (Nils Dreschke), Polonius (Christian Sengewald) und allen voran der auf Rache sinnende Geist von Hamlets Vater (Lars Frank). Auf der anderen Seite stehen die Jungen, ihre Kinder, die als Puppen sichtbar von dunkel gewandeten Spielern verkörpert werden: Hamlet (Ines Heinrich-Frank), Ophelia und Rosenkranz (Ivana Sajevic), Laertes und Gueldenstein (Lars Frank). Dass überdies Horatio, Hamlets treuer Freund ganz fehlt – was selbst mir, die ich dieses Shakespeare-Stück wirklich gut kenne, erst nach einer ganzen Weile zu Bewusstsein kam -, ist so erstaunlich wie konsequent: ganz allein dem Willen des Vaters ist Hamlet so ausgeliefert, ohne Helfer, ohne Stütze, eben ohne Freund.
Dass man den Stoff so klar und eindeutig auf den Konflikt zwischen übermächtigen Eltern/Autoritäten und den Jungen, Ohnmächtigen, zuspitzen kann, die ihnen wenig bis nichts entgegen zu setzen haben; die sich letztlich bestenfalls durch Suizid selbst aus dem bösen Spiel der Großen nehmen können, war mir zuvor nicht klar gewesen. Aber es funktioniert grandios (und nebenbei: bei dieser Bühne und in dieser Inszenierung passen auch die Videos perfekt und sind nicht bloß technischer Schnickschnack wie sonst nur allzu oft).
Der Schluss ließ mir den Atem stocken und das Herz eng werden und, wie ich später auch sah, so manchem Krimiautorenkollegen im Publikum die Augen feucht werden. Wenn der zweite Puppenspieler, der zuvor im Duell Hamlet unterstützte, in der Sterbeszene Bowler, Mantel und Sonnenbrille ablegt und sich als Geist zu erkennen gibt, entsteht ein abgründiges Bild. Plötzlich hält der tote Vater seinen sterbenden Sohn auf dem Schoß, eine Art umgekehrte Pièta, wo Rache zu bodenloser Trauer gerinnt.
Wirklich, bei diesem Ende kann man nichts sagen außer den vielleicht berühmtesten Schlusssatz überhaupt: „Der Rest ist Schweigen.“
P.S: Ich bin nach wie vor dafür, die nächsten Criminalen allesamt wieder in Halle auszutragen, damit wir alle noch viele, viele Inszenierungen an diesem so besonderen Puppentheater, bei dem die Figuren wohl in jeder Inszenierung, jedem Stück andere sind, sehen können! 🙂