Die Eleganz der Schwimmflossen

Sommer, Sonne, Strandbad – gut, momentan sieht das Wetter draußen nicht ganz nach diesem klassischen Dreiklang aus, aber man darf ja wohl träumen. Und manchmal träumt es sich am besten im Kollektiv, wenn man etwa das Glück hat, eine der vier Vorstellungen von „Versommert„, dem Tanz & Theaterstück nach der Idee und Choreographie von Jelena Ivanovic, miterleben zu dürfen. Natürlich erst, nachdem man sich mit Sonnencreme versorgt hat, denn der Auftakt von „Kunstbaden“ ist ein Erlebnis für alle Sinne –

Kommt mit mir in den Sommer, scheint diese Geste von Jelena Ivanovic zu sagen, und wer wollte dem nicht folgen?

wie man um Grugabad gleich nach der Ankunft bemerkt: Schon in der ‚Betonschleuse‘ wird man in Empfang genommen von sommerlich gekleideten Menschen, die einen auf den Weg bringen, manchmal eben auch, indem sie freundlich, aber bestimmt Sonnencreme oder eine Auswahl Sommerleckereien (von Lakritz bis saure Weingummis ;-)) anbieten.

So kommt der Sommer bereits auf dem Weg zur großen Wiese ganz nah an mich heran, wo Ton- und Bildinstallationen Sommerspuren, Ferienerinnerungen, und andere kleine, persönliche Einblicke in fremde Leben darauf warten, von jedem Zuschauer im eigenen Tempo erkundet zu werden.  Eine gute Art anzukommen, und sich zugleich dem 20köpfigen Ensemble aus einer handvoll Profitänzern, dazu jungen Erwachsenen in der Ausbildung und älteren Menschen am Ende ihres Berufslebens anzunähern. Wobei gleich mal eines festgehalten werden muss: laienhaft ist nichts an diesem Abend, betörend, schön, komisch, melancholisch, nachdenklich, ein bisschen verrückt und alles in allem mitreißend dafür so ziemlich alles.

So viele Stationen durchläuft der Abend, viel zu viele, um sie alle mit Worten nachzuzeichnen oder auch nur aufzulisten. Gesang gibt es darin, live, Tanz natürlich, auch einen kleinen, feinen Film. Äpfel tauchen immer wieder auf, ob als Tanzrequisit oder im Wasser schwimmend oder auch als köstlich gesungen und getanztes Kuchenrezept.

Jede Menge Blickwinkel sind zu entdecken: von der Wiese hinauf zu den Schwimmbecken, von der Tribüne hinunter aufs Treiben am Beckenrand oder von dort wieder hoch zum Sprungturm, wo ein Mann (Damiaan Bartholomeus Veens) seine Liebe tanzt und das Publikum den Atem anhält: springt er etwa doch …?

Für die Liebe auf dem Sprung? Damiaan Bartholomeus Veens

Denn ins Wasser geht es für die Darsteller immer wieder, was manchem im Publikum ebenfalls den Atem stocken lässt – und das gewiss nicht nur, weil man gar nicht anders kann als sich zu fragen, ist das nicht arg kalt, im April? Aber wunderschön anzusehen ist es allemal, und die Kreise, die das im Wasser zieht, die sind beinahe so hypnotisch wie das Flackern von Feuer … Sommer- vs. Winterhypnose halt. 😉 

Natürlich darf in einer Liebeserklärung an den Sommer der Cafébesuch nicht fehlen – selten sieht man „draußen nur Kännchen“ und „sehen und gesehen werden“ so elegant und witzig zugleich präsentiert wie bei diesem „Kaffee à deux“:

Wer würde da keine Lust bekommen auf den Sommer? Und plötzlich sehne ich, die ich die Hitze migränebedingt fürchte und Chlorwasser nicht vertrage, mich nach den Strandbadbesuchen meiner Kindheit und frage mich, wie ist das wohl, diesen Abend zu sehen und, anders als ich Zugezogene, mit diesem Kultort namens Grugabad über eigene Sommererinnerungen verbunden zu sein? Ist dann der Schlusspunkt, wenn das gesamte Ensemble zu „La Mer“ ins Becken geht wie tanzende Lemminge gezogen vom Traum des Sommers, noch schöner? 

Für mich schmeckte der Moment nach Salz und nach Mittelmeer …

Doch mein Lieblings-Stück in diesem Schatzkästlein aus Sommerideen ist „Diamonds“: Schritte nähern sich, rhythmisch, marschähnlich fast, natürlich, den Takt, die Musik kennt jeder, aber was ist dieses andere Geräusch, dieses Scharren oder Schnarren, vielleicht auch Rasseln? Die Tänzer tragen keine Instrumente, nur schicke Kleider wie einst in den 1950ern. Und dann endlich sieht man es: sie tragen Schwimmflossen, das ist das Scharren und Schnarren, und das gibt der Marilyn-Monroe-Nummer eine komische Note, die sich ganz perfekt mit dem Tanz verbindet: wer hätte gedacht, wie elegant Schwimmflossen an Land sein können! 😉

Wie schade, dass es all das nur an vier Abenden im April zu sehen gab. Zugleich passt auch das zum Sommer: jeder Moment ist kostbar, einzigartig und formt im nächsten Augenblick das Gewebe, das die Liebe zu dieser Jahreszeit immer weiter trägt.

Bleibt nur eine Frage: wie sehen eigentlich die anderen Jahreszeiten aus dem ganz speziellen Kunstbaden-Blickwinkel von Jelena Ivanovic aus? Und wäre das nicht etwas für kommende Bade-Zeiten im Grugabad?

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