Tödlich, tragisch, Turandot

Ist „Turandot“ von Giacomo Puccini ein böses Märchen. eine Liebestragödie oder doch ein scheiterndes ‚emanzipatorischen Projekt‘, wie es im Programmheft zur jüngst am Aalto-Theater wiederaufgenommenen Inszenierung von Tilman Knabe heißt? Auf jeden Fall trifft hinreißend schöne Musik auf einen starken Konflikt, und was das Produktionsteam daraus gemacht hat, hallt lange nach.

Zum Verzweifeln schön: Turandot (Rebecca Teem) am Ende ihres Weges (Foto: Saad Hamza)

Märchenhaft ist in Essen wenig: die Bühne  (Alfred Peter) sieht aus wie die Bauruine einer Parkgarage oder auch der verfallende Unterbau eines modernen Stadions und die Kostüme (Kathi Maurer) erinnern an Uniformen und uniformartig verwendete, zivile Kleidung im modernen China. Kein bunter, wuseliger Kaiserhof des klassischen Pekings oder nur der westlichen Vorstellung davon, das Grau der Diktatur lässt statt dessen grüßen.

Und das passt ja, denn die Gewalt ist allgegenwärtig, nicht nur aber vor allem in Turandots (stimmgewaltig: Rebecca Teem), nun, nennen wir es halt ‚emanzipatorischem Projekt‘: anders als ihre Ahnin will sie sich nicht von einem fremden Mann beherrschen, rauben lassen, also muss jeder, der um ihre Hand anhält, drei Rätsel lösen – und wer es nicht kann, verliert den Kopf, ganz wörtlich. Auch Kalaf (Michael Wade Lee, trotz Erkältung überzeugend), der fremde Prinz ohne Land auf der Flucht, entbrennt in Liebe zu ihr und kann schier nicht anders, als um sie werben. Dann gewinnt er und stellt nun ihr ein Rätsel: bis zum Morgengrauen muss sie seinen Namen herausfinden, sonst findet die Heirat statt. So weit, so opern- oder vielleicht auch märchenhaft. Ganz Peking ist vom Tod bedroht, der Name muss her, koste es, was es wolle. Und dann wird auch noch Liu (mit einer Stimme zum Dahinschmelzen: Elbenita Kajtazi), die Sklavin, die Kalaf von ganzer Seele liebt, gefunden und gefoltert, bis sie sich selbst tötet, sich seiner Liebe opfert. Blutiger Ernst kratzt Opernkitsch und ist doch von der Musik über die Texte bis in die Inszenierung so stimmig, dass es berührt – auch bzw. vielleicht gerade, weil die Gewalt darin zugleich abstoßend ist.

Es folgen, unvermeidlich, das Intermezzo, weil nun mal Puccini starb, ohne das Schlussduett vollendet zu haben, und damit erstens eine Entscheidung für eine ‚fremdes‘ Ende erzwingt, und zweitens der Bruch in der Wahl desselben (hier das von Puccinis Schüler Franco Alfano) samt ‚fremder‘ Musik. Das Libretti jedoch folgt der letzten Fassung, mit der Puccini bis zuletzt arbeitete. Und dieses endet böse – mit einer brutalen, demütigenden Hochzeitsnacht als Schlussakt, atemberaubend gespielt und gesungen von den beiden Protagonisten.

Gewiss auch verstörend, denn hier wird nichts versöhnt oder auch nur beschönt. Das Recht des Stärkeren siegt. Die Gewalt siegt – wobei – Macht und Gewalt, haben die nicht die Geschichte bis dahin bereits beherrscht? Was sind denn Turandots Rätsel samt Todesdrohung anderes als Gewalt, auch wenn man sie als Antwort auf herrschende Unterdrückung ansehen will? Was ist Kalafs Bereitschaft, Lius Selbstopfer zu akzeptieren, ja, geradzu stillschweigend einzufordern? Wie hätte diese Geschichte ein ‚gutes, glückliches Ende‘ nehmen sollen? Das scheint ungefähr so unmöglich wie ein Happy End für Medea oder Klytemnestra.

Das wäre nicht passend und was immer Puccini vorgehabt haben mag mit dem Ende dieser Oper, ein märchenhaftes „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ wird es ganz sicher nicht gewesen sein. Vielleicht aber war es gerade das Unfertige dieser Oper, das in mir den für mich selbst äußerst überraschende, spontane Wunsch weckte, mich ausgerechnet als Regisseurin auf die Suche nach einem anderen Ende zu machen und  den stummen Schrei Turandots hörbar zu machen. Gerade weil es unmöglich ist. Aber bis ich letzten Sonntag Rebecca Teem als Turandot hörte, hätte ich es ja auch nicht für möglich gehalten, dass derselbe Sopran einmal stechend-scharf an den Rändern ausfranst, so dass es geradezu schmerzt (jedenfalls für meine seltsamen Sinne), um an anderer Stelle weich, samtig und beinahe schon lyrisch zu werden: ersteres, wenn sie als todbringende Herrscherin  erscheint, letzteres, wenn Liu sie über die Natur der Liebe belehrt. Um so tragischer, dass sie so verzweifelt, so gebrochen endet – und um so konsequenter, dass der Schrei dort stumm bleibt.

Und so bin ich Tage danach noch immer tief beeindruckt.

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