Meist ist es das pure Glück, das mich in eine Opernvorstellung bringt, denn ohne Gebührenkarten wäre das ein recht teures Vergnügen und ohne Begleiter mag ich mich (noch) nicht auf das Abenteuer Musiktheater einlassen. Am Samstag landete ich so mit einer obendrein opernversierten Freundin in Rigoletto im Aalto-Theater – eine Oper, von der ich wenig mehr wusste, als dass es sie gibt, und der ich von daher ganz unvoreingenommen begegnete.
Was auch heißt: Einführungen sind meine Sache nicht. Natürlich steigern Vorwissen und -erfahrung den Kunstgenuss tendenziell, aber sie sind nichts, was man sich mit einem kurzen Vortrag eines Musikdramaturgen draufschaffen kann. Und angesichts der generell eher unlogischen Libretti bringt ausgerechnet die Inhaltszusammenfassung keinen echten Gewinn. Ich verlasse mich lieber auf mein Hirn und meine Sinne und vor allem den Komponisten und sein Werk, genau darin besteht letztlich mein fortdauerndes Experiment „Mischa in der Oper“.
Wobei Guiseppe Verdis Rigoletto in einem Moment zu sehen und zu hören, wo beinahe wörtlich alle Welt über sexuelle Belästigung in Machtverhältnissen spricht (oder es doch das ist, was nach den Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein und der #MeToo-Welle Gesprächsthema sein sollte), verzerrt die Wahrnehmung der Inszenierung von Frank Hilbrich womöglich schon. Der Herzog von Mantua (stimmlich überzeugend, vom Spiel her eher schnöselig: Carlos Cardoso) ist bestenfalls ein Frauenheld, ein unersättlicher Verführer, dem sich aufgrund seiner politischen Macht jedoch letztlich nichts und niemand entziehen kann.
Seine Höflinge (der nahezu durchweg maskierte Herrenchor) kriechen vor ihm, sie sehen keine Opfer, vermutlich nicht mal sich selbst als solche. Und Rigoletto (vielschichtig in jeder Hinsicht: Nikoloz Lagvilava) der bucklige Hofnarr, ist der schlimmste von allen, wenn es darum geht, die wahren Opfer seines Herrn zu verhöhnen. Am Umgang mit den „Nebenwirkungen der Macht“ hat sich anscheinend nur wenig geändert, seit Francesco Maria Piave Mitte des 19. Jahrhunderts das Libretto schrieb. Dass Rigolettos Versuch, die Unschuld seiner Tochter Gilda zu retten, indem er sie vor der Welt verbirgt, zum Scheitern verurteilt, ist eine noch viel ältere Geschichte; das dürfte jedem klar sein, der auch nur eine Handvoll klassischer Sagen oder schlicht Märchen las.
Aber Opern sind kaum als Vehikel komplexer Geschichten geeignet, selbst wenn Rigoletto das erste Mal war, dass Verdi statt einer Nummernoper eine mit einer Handlung im engeren Sinn anging. Für mich als Erzählforscherin und Opernabenteuerin ist daran besonders spannend, dass das für ihn gleichzeitig die Abkehr vom Grundgerüst aus Arien hin zur einem aus Duetten bedeutete. Das passt zum einen zu meiner Wahrnehmung, denn gerade das Zusammenspiel der Stimmen, die gemeinsam mit dem Orchester zu etwas Neuem, Größeren werden, war für mich das Spannende an diesem Abend. Und zum anderen wirft diese wikipediagestützte Erkenntnis natürlich die Frage auf, ist das die Grundgemeinsamkeit aller erzählenden wie dramatischen Kunst, dass es um mindestens zwei Seiten, zwei Figuren, zwei Personen – eben die Auseinandersetzung mindestens im Duett geht?
Allerdings fürchte ich, die meisten Opernbesucher aus Leidenschaft dürften das anders sehen. Denn natürlich beziehe ich Neugierige auch meine Mitopernbesucher ins Experiment mit ein. Es fällt schon auf, wie viel stärker und oft auch unmittelbarer das Publikum in der Oper etwa im Vergleich mit dem eines Theaterstücks reagiert. Und so frage ich mich mehr und mehr, ob es dem Gros der Opernfans darum geht: vom Bühnengeschehen und der Musik vor allem die Gefühle, die in dieser Kunstform oft überlebensgroß dargestellt werden, mitzunehmen? Sozusagen per Spiegelneuronen ein beinahe reines Gefühlerlebnis zu bekommen? Wobei auch das eine Art Duett wäre, denn Mitschwingen, Empathie setzt ja mindestens zwei Akteure voraus.
Ach, armer Rigoletto, so verkopft ist das, was mir von dir im Gedächtnis blieb. Aber Hut ab, lieber Verdi, auf so viele Gedanken bringen mich sonst nur Sprechtheaterbesuche – das allerdings mit sehr viel weniger und weniger grandioser Musik 🙂