Blickwinkelwechselgeschichten

Eigentlich gehe ich nicht gerne zu „fremden“ Autorenlesungen, schon gar nicht allein. Und öffentliche Schwimmbäder sind auch nicht so meins, denn ich kann weder besonders gut auf Hitze noch auf Chlor. Dennoch konnte ich der neuen Reihe Kunstbaden – Kultur im Grugabad –  nicht widerstehen und ging am zu Samstag Danko Rabrenovics Sunsetlesung. Was für ein Glück, sonst hätte ich nie erfahren, dass wir offenbar mindestens eine Leidenschaft teilen: die für den Blichwinkelwechsel (und für gute Musik. und für gute Geschichten. :-))  

1991 kam er als Kriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland – sonst hätte er seine Mutter, eine Kroatin, erschlagen, oder seinen Vater, einen Serben, erschießen müssen, und wer will das schon?, fragte er sich und uns. Trockener Humor trifft auf scharfe Beobachtungsgabe, wird durch zwei Sprachen verwandelt und am Ende kommen literarische Alltagsbeobachtungen oder ziemlich coole Songs dabei heraus. Ins Grugabad nach Essen hatte er beides mitgebracht, seine Texte und seine Songs und eine Minigitarre (klein aber verstärkt) noch dazu.

Er liebt den Blickwinkelwechsel – schaut als „Balkanese“ auf  „die Deutschen“ und betrachtet den Balkan bei jedem Besuch aufs Neue aus der Sicht eines Menschen, dessen Lebensmittelpunkt und zweite Heimat in Deutschland liegt. Ach was: Danko Rabrenovic  ist einfach beides, Balkanese und Deutscher, hasst den frühen Morgen und versteht nicht, warum man am Samstag selbst saubere Autos wäscht oder wozu Kindergartenkinder Terminplanung benötigen. Und umgekehrt nervt ihn Silikon, Machogetue und gelegentlich auch die krude, aber typische Mischung aus balkanesischem „Nema problema“ und Nörgelei – sehr lustig, für mich waren die Deutschen bislang stets die Nörgler und die Österreicher die Grantler, nun spielen in der Liga auch noch die Jugos mit … womit wir eigentlich beim Fußball wären, aber von dem verstehe ich ja bekanntlich nichts. 😉

Wie dem auch sei, Danko Rabrenovic, dem Sänger, Radiomoderator und Autor zuzuhören, dabei das riesige Grugaschwimmbad nur mit den rund 50 Besuchern plus Organisatoren und natürlich Bademeistern zu teilen, das hatte was. Die Sonne versinkt hinter der Bühne beim Sprungturm, die selbstgemachte Erdbeerlimonade vom Café Livres schmeichelt dem Gaumen, und was von der Bühne auf die Ohren trifft, lässt Bilder entstehen, alltagstaugliche wie urlaubssatte. Es ist Sommer und Literatur und Kultur verlassen ihre großartigen, aber doch manchmal etwas muffigen Gehäuse und nehmen das Publikum mit hinaus in die Welt – so kam es mir vor.

Und danach durch den Grugapark im letzten Licht der Dämmerung nach Hause zu spazieren, vorbei an schaukelnden Teenie-Freundinnen, stillgewordenen Picknick-Gangs, aufgekratzten Eulen und natürlich auch Liebespaaren, das war noch so ein Blickwinkelwechsel, den mir dieser Abend schenkte.

Schade, dass ich zum Tangoabend im Juli nicht kommen können werde und auch noch nicht sicher bin, ob ich’s zum Konzertpicknick ins Grugabad schaffe. Aber wenn Danko Rabrenovic es schafft, Jelena Ivanovic davon zu überzeugen, ihn jeden Samstagabend dorthin zurückzuholen und das dann die Stadt davon überzeugt, sich auch finanziell kopfüber mit ins Kunstbaden zu stürzen, auf dass es mit wechselnden Künstlern, Kunstformen und Blickwinkeln eine ständige Einrichtung weit übers Grüne Hauptstadtjahr hinaus werde, dann bin ich immer wieder gerne  mit dabei.

Danke Danko & Jelena, dass Ihr mir gezeigt habt, ich mag das Grugabad ja doch. Und Autorenlesungen, bei denen ich einfach nur gechillt zuhören kann. Und vor allem Kultur mit Blickwinkelwechselpotenzial im Freien 🙂

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