Schreck lass‘ nach

— so haben Arnd Federspiel und ich unseren neuesten Kurzkrimi getauft, und das mit gutem Grund, spielt doch der mit seiner Titelrolle in Nosferatu – Sinfonie des Grauens berühmt gewordene Stummfilmdarsteller Max Schreck eine der Hauptrollen in dieser Geschichte. Genau wie eine nicht unbeträchtliche Zahl Knoblauchknollen und eine erhebliche Menge Weihwasser … aber der Reihe nach:

Schreck lass nach

von Mischa Bach & Arnd Federspiel

Aufblende.

Insel Poel, Sommer 1921. Die Sonne steht bereits tief über dem Wasser. Im Strandbad bei Schwarzen Busch vergnügen sich einige Herren in geringelten Badeanzügen und Damen in gerüschten Badekleidern, von denen manches so tief ausgeschnitten wie der Bubikopf seiner Trägerin kurz ist.

In der nahegelegenen Villa Strandheim kontrolliert Hausdame Helene Gotthelf, eine herbe Schönheit in züchtig hochgeschlossenem, schwarzen Witwenkleid, die Gästezimmer. Sie zupft hier an einer Tagesdecke, rückt dort einen gerahmten Bibelspruch an der Wand zurecht und sorgt dafür, dass auf jedem Nachttisch gut sichtbar das Buch der Bücher liegt. Sehr versteckt dagegen platziert sie in jedem Zimmer eine kleine Räucherschale. Noch verwunderlicher ist die Blumendekoration in den Zimmern, stecken doch zwischen Rosen, Nelken und Lilien ausgerechnet Knoblauchknollen.

Eine solche bringt Helene hinunter in die große Küche des Hauses, wo Köchin Anna mit ihren Helferinnen bereits geschäftig am Werk ist. Misstrauisch schnuppert die Köchin am Knoblauch, doch da die Hausdame ihr diesen energisch in die Hand drückt, zuckt sie mit den Achseln: Irgendetwas wird sich damit schon würzen lassen – zum Beispiel die Lachspastetchen, denen noch das gewisse Etwas fehlt.

Inzwischen kommen die Gäste an – einige wenige vom Strand, die anderen treffen erst jetzt mitsamt Gepäck ein. Es sind lebhafte, fröhliche Menschen unterschiedlichen Alters, darunter der hagere Max Schreck mit seiner stets munteren Frau Fanny und die aparte, aber schüchterne Greta Schröder sowie Alexander Granach, dem sein wachsender Bauch und der schwindende Haaransatz mehr an Jahren zuschreibt, als er tatsächlich auf dem Buckel hat. Das große Hallo mit gegenseitigem Umarmen und teils erst nachträglichem Vorstellen findet unter den Argusaugen der gestrengen Hausdame statt, die jeden sieht, jedoch selbst von niemand bemerkt zu werden scheint. Dennoch dirigiert sie mit sparsamen Gesten die kleine Schar aus Dienern und Hausmädchen, die schließlich die lärmenden und lachenden Gäste zu ihren Zimmern lotsen.

Überblendung.

Abendstimmung im Garten der Villa, in dem ein großes Buffet auf dem Rasen aufgebaut ist. Als hinter den Bäumen die Sonne über dem Meer versinkt, versammeln sich die Gäste, nun für den Abend fein gemacht. Livrierte Diener laufen mit Tabletts voll Sektgläsern und Canapés zwischen ihnen herum. Während Max und Fanny Arm in Arm durch den Garten spazieren und dabei mit Greta plaudern, freut sich Alexander, als er hier mit Gustav von Wangenheim und John Gottowt zwei weitere Absolventen des Max Reinhardt Seminars trifft. Hans Magnus, Haltung und hochmütigem Ausdruck auf dem bleichen Gesicht nach zu urteilen aufstrebender Jungschauspieler, ist dagegen sichtlich um Distanz bemüht. Als ihn Heinrich Schmitt, ein gemütlicher, älterer Kollege ansprechen will, wendet er sich abrupt ab und schnappt sich ein Glas Champagner und ein Lachspastetchen. Er beißt in letzteres, verzieht angewidert das Gesicht, spuckt aus und spült mit dem Inhalt seines Glases nach. Dann lässt er den Rest des Pastetchens hinter einen Blumentopf fallen. Dass ihn dabei Hausdame Helene beobachtet, bemerkt er nicht …

Auf der Terrasse erscheint nun endlich der Gastgeber Bertram Michaelis, seines Zeichens jüngerer Bruder des Wismarer Weingroßhändlers und Poeler Villenbesitzers. Ihn begleiten zwei weitere Hausgäste, ohne die es die Feier gar nicht gäbe: der zurückhaltende, schmale Jungregisseur Friedrich Wilhelm Murnau und sein jovialer Produzent Albin Grau. Zusammen mit den hier versammelten Schauspielern wollen sie sich auf Poel auf die Dreharbeiten zu Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens vorbereiten, die in wenigen Tagen in Wismar beginnen werden. Während Michaelis seinen Gästen zuprostet und Grau das Drehbuch schwenkt wie eine Trophäe, betrachtet Murnau seine Darsteller so intensiv, als studiere er ihre Anatomie. Er freut sich zu sehen, wie gut Max und Greta, sein Nosferatu und seine Ellen, das Objekt der Vampirbegierde, miteinander harmonieren. So bekommt er gar nicht mit, dass sich ihm Magnus nähert, und entsprechend schreckt er zusammen, als dieser ihn von der Seite anspricht. Auf den ersten folgt ein zweiter Schreck, denn im nächsten Moment kommt ein Schwall Wasser von oben. Beide Männer machen einen Satz zur Seite. Murnau hat Glück, er klopft sich anschließend nur einige Spritzer aus seinem Jackett. Der tropfnasse Magnus dagegen schüttelt die Faust gen Himmel und lenkt so alle Blicke hoch zum Balkon.

Dort bei den üppigen Blumenkästen steht ein Hausmädchen mit Gießkanne und schaut erschrocken drein. Der Gastgeber will die Angestellte schelten, da stürzt Hausdame Helene an die Brüstung des Balkons und übernimmt die Verantwortung für das Malheur. Anschließend eilt sie hinunter, um den triefenden Magnus eigenhändig auf sein Zimmer zu geleiten und sich dabei gestenreich zu entschuldigen. Oben angekommen, eilt sie zu seinem beinahe mannshohen Schrankkoffer, um ihm frische Kleidung zu reichen. Sie wendet sich züchtig-verschämt ab, er dagegen blickt lüstern, zieht sie zu sich heran. Nur mit dem Hinweis, dass man bereits den Gong zum Dinner schlägt, gelingt es ihr, sich ihm für den Moment zu entwinden.

Unten haben sich die anderen Gäste bereits an den festlich gedeckten Tisch gesetzt. Der erste Gang wird aufgetragen. Greta, nun mit von Wangenheim ins Gespräch vertieft, der im Film ihren Ehemann mimen wird, will ihre Serviette mit elegantem Schwung entfalten, da segelt ein Kärtchen heraus: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“ steht darauf. Auch aus den Servietten der anderen fallen Bibelsprüche mit martialischem Unterton. Einen Moment herrscht Irritation, die der Gastgeber mit einem Scherz besänftigt: Die Hausdame sei nun mal eine gottesfürchtige Witwe, und Schauspieler gelten hier in der äußersten Provinz noch immer als fahrendes Volk. Ob das auch der Grund für den Knoblauch sei, will Albin Grau augenzwinkernd wissen. Das nun nicht, beeilt sich die Angesprochene zu erklären, aber es hieße doch, dieser sei gut gegen Mücken und andere Blutsauger, weshalb sie zum Wohl der Gäste seine Verwendung angeregt habe. Grau, der sich viel auf seinen Schlag bei denen Damen einbildet, nimmt das als Aufforderung zum Flirt. Aber wie aufs Stichwort erhebt Murnau aufs Wohl aller und das Gelingen der Dreharbeiten sein Glas. Sie stoßen an, und der Rest des Abends verläuft ohne weitere Zwischenfälle – sieht man von Magnus’ düsterer Laune, der nichts außer Alkohol zu sich nimmt und sich auch nicht von Fannys Aufmunterungsversuchen aufheitern lässt, einmal ab …

Spät in der Nacht. Das Haus liegt endlich dunkel und still. Nur das Licht des beinahe vollen Mondes, das durch die großen Fenster fällt, erhellt die Szenerie, gibt allem eine unwirkliche, ja unheimliche Atmosphäre. Helene stiehlt sich im wallenden Nachtgewand und schweren Morgenmantel, das Haar nurmehr locker zu einem langen Zopf geflochten, über die Flure. Vor der Tür zu Magnus’ Zimmer hält sie kurz inne, sieht sich um und schlüpft hinein. Vorsichtig tritt sie ans Bett, beugt sich über den Mann. Sie greift mit der Rechten an ihre Brust, um etwas hervorzuholen, als er plötzlich die Augen aufreißt und sie nach einer stummen Schrecksekunde erkennt. Er langt nach ihr, will sie zu sich hinabziehen. Sie strauchelt, sinkt halb erst aufs Bett, dann auf ihn nieder. Es gelingt ihr, in einer Bewegung das Kruzifix, das sie am Busen trägt, hervorzuziehen. Dabei rutscht der Morgenrock auseinander und gibt den Blick frei auf die Kette aus aufgefädelten Knoblauchknollen, die sie um den Hals trägt. Magnus stutzt, lacht auf, packt das weiße Gemüse und reißt es ihr, die nun rittlings auf ihm sitzt, vom Hals. Knoblauchknollen fallen aufs Bett und kullern zu Boden. Helene umschließt das Kruzifix mit beiden Händen und drückt es ihm kraftvoll auf die Stirn. Überrascht schreit er auf, doch das währt nur kurz. Schon hat Helene eines der Kissen in der Hand und presst es ihm fest aufs Gesicht. Er rudert mit den Armen, strampelt mit den Beinen, doch weil sie auf ihm sitzt, hat er keine Chance.

Dann ist es vorbei. Helene, schwer atmend, mit derangierter Frisur, hebt vorsichtig erst das Kissen und anschließend das Kruzifix an – ein tiefer kreuzförmiger Abdruck ziert nun seine bleiche Stirn. Grässlich blicken seine toten Augen und die hochgezogenen Lippen lassen seine spitzen Eckzähne hervortreten. Helene bekreuzigt sich und erhebt sich vom Bett. Plötzlich schnellt ihr Blick zur Tür – die geöffnet wird! Sie erstarrt, bevor sie sich eilig über den Toten beugt, wobei sie abwehrend eine Hand mit weit abgespreizten Fingern Richtung Tür hebt.

[…]

aus: „Schreck lass‘ nach“, soeben erschienen in

Mecklenburger Schweinerippe(r)

25 Krimis & Rezepte.
Herausgegeben von Regine Kölpin
Wellhöfer Verlag
ISBN: 3954281864
EAN: 9783954281862
Libri: 2498225
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