Im Nebel der Zeit

Wenn ich hier schon auf das Erscheinen von Arnds und meinem ersten gemeinsamen Kurzkrimi hinweise, ist es nur angemessen, sogleich eine Leseprobe aus selbiger hinterher zu schieben … voilà:
Der Unhold von Rungholt

Schuld an allem war der Nebel. Und dieses eigenartige Licht. Hätte er das Licht nicht gesehen, er wäre nie hier gelandet. Korrekterweise hätte er wohl „angelandet“ sagen müssen, denn vielleicht zwanzig Yards den Strand hinunter lag das kleine Ruderboot, mit dem er versucht hatte, sich zum Festland vorzuarbeiten. Doch dann war der Nebel, dessen Schutz ihm das Stehlen des Bootes erleichtert hatte, dichter geworden und hatte ihn orientierungslos auf der Nordsee zurückgelassen.
In seiner P51 Mustang wäre er spielend mit den Wetterverhältnissen klargekommen, aber in einem undichten Bötchen, noch dazu ohne Instrumente, auf dem Meer …
Flight Lieutenant Laurie Tallack zuckte die Achseln. Daheim in England würden sie nicht glücklich sein, wenn er ohne das Flugzeug heimkam. Schließlich war es eines von nur ein paar Handvoll, die die Amerikaner der Royal Air Force überlassen hatten. Das Oberkommando hatte eine Menge vor mit den Maschinen, die endlich Langstreckenflüge bewältigen und damit den Geleitschutz für die Bomberverbände übernehmen konnten, die man im weiteren Verlauf des Jahres 1943 zum Feind schicken wollte. Da zählte jede Maschine, doch seine, mit der er einen simplen Erkundungsflug hatte durchführen sollen, lag mittlerweile auf dem Grund des Meeres.
Triebwerkschaden. Irgendwo westlich von Husum waren auf einmal Flammen aus der Nase der P51 geschlagen, bevor der Motor und mit ihm der Propeller einfach stehen geblieben war.
Nur mit Müh‘ und Not hatte er das Flugzeug nach längerem Gleitflug im Dämmerlicht wassern können, und war zu einem nahegelegenen Inselchen geschwommen, auf dem zwei, drei einsame Fischerkaten gestanden hatten. Die Bewohner hatten offenbar weder seinen Absturz noch seine anschließende Schwimmtour zu ihrem Eiland bemerkt. Also hatte er sich das hölzerne Boot geschnappt und war nach Osten gerudert, Richtung Festland. Wie es von dort weitergehen sollte, wusste er selbst noch nicht. Entweder konnte er versuchen, sich irgendwie in die Heimat durchzuschlagen oder er konnte sich den Deutschen ergeben, wenn er ihnen nicht ohnehin in die Hände fiel. In Anbetracht der Tatsache, dass er sich mitten im Feindesland befand, war Option eins fast unmöglich zu erfüllen, Option zwei dafür umso wahrscheinlicher.
Nun, man würde sehen, was sich ergab.
Leise pfiff er It’s a Long Way to Tipperary, während er sich in die Riemen legte. Die Wellen schwappten gegen den Bootskörper, die Ruder platschten im Wasser. Wenigstens war die See einigermaßen ruhig. So hatte er schnell seinen Rhythmus gefunden.
Er kam gut voran. Doch dann verdichtete sich der Nebel und verbarg die Sterne, anhand derer er bisher navigiert hatte, vor ihm. Verzweiflung überkam ihn. Bis er das Licht sah.
Das Festland, hatte er gedacht, und sich verstärkt in die Riemen gelegt, trotz der Erschöpfung. Dennoch dauerte es mindestens eine Viertelstunde, bis der Kiel des Bootes auf Sand lief.
Schwer atmend war Laurie in sich zusammengesunken und hatte den Kopf hängen lassen, bis sich das Heben und Senken seines Brustkorbs wieder beruhigt hatte.
Jetzt blickte er auf und sah sich um: Ein ganzes Stück rechts von seinem „Landeplatz“ ließ das gelbe Leuchten die Nebelschwaden noch unheimlicher wirken.
Laurie hatte bewusst nicht direkt auf das Licht zugehalten, denn er legte keinen Wert auf Feindberührung – und sei es nur mit einem Fischer, seiner Frau oder anderen Zivilisten. Trotzdem musste er herausfinden, wo er gelandet war. Ging das Licht von einer Fischerkate aus oder von einer befestigten militärischen Stellung, die die Küste unter Beobachtung hielt?
Einen Moment lang überlegte er, ob er sich vorsichtig zurückziehen sollte, um an anderer Stelle weiter ins Landesinnere vorzudringen, dann entschied er sich dagegen. Schließlich war er zu einem Aufklärungsflug aufgebrochen. Also sollte er auch etwas aufklären. Und wenn hier wirklich eine befestigte Küstenstellung oder ein Wachtposten war, konnte dieses Wissen interessant sein.
„Ist ja nur ein kurzer Blick“, sagte er sich, und machte sich auf den Weg.

[…]

(c) 2015 by Mischa Bach & Arnd Federspiel:

Der Unhold von Rungholt, in: „Wellengang und Wattenmorde“, hrsg, vo, R,Kölpin, Wellhöfer-Verlag 2015.

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