Heraklit wird die Aussage zugeschrieben, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei. Georg Büchner lässt seinen Titelhelden in Dantons Tod feststellen, dass die Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Betrachtet man Wajdi Mouawads Verbrennungen in der Essener Inszenierung von Martin Schulze, steht diesen Dreiklang ergänzend die Frage im Raum, ob die Gewalt sich selbst gebiert – bzw. ob es dennoch möglich ist, dass sie eines Tages Verzeihen aus sich heraus erschaffen kann.
Mir kamen diese Gedanken jedenfalls während der Vorstellung in den Sinn. Was treibt Menschen zur Gewalt, wie entsteht Terror, wie kann Gerechtigkeit vor einem Hintergrund wie den Greueltaten etwa im Bürgerkrieg im Libanon aussehen, wie Frieden geschaffen werden – solche universellen Fragen stellt das Stück.
Gespielt wird über mehrere Zeitebenen, wobei die Hauptfigur Nawal als junge Frau von Stephanie Schönfeld und als ältere Frau von Ines Krug dargestellt wird – was sehr gut funktioniert, wie überhaupt das ganze Ensemble auf der Bühne hervorragend ist und ich sehr erfreut war, endlich einmal wieder Nico Link auf der Bühne des Grillo-Theaters zu sehen. Dass Videos (Tobias Bieseke) weitgehend die Funktion des Bühnenbilds (Daniel Roskamp) übernehmen, hätte ich nicht gebraucht und was so toll daran ist, über die ganze Bühnenbreite Tische aneinander zu reihen und damit den Darstellern den Spielraum zu nehmen, weiß ich auch nicht. Aber irgendwann fällt diese Barriere und man geht ja auch nicht wegen der Bühnenbilder ins Theater sondern wegen der Geschichten, die dort erzählt werden …
Dass der Plot (zu) leicht zu erraten ist, wäre dabei weniger störend, wenn der vermeintliche Überraschungseffekt darin nicht angepeilt würde. Verstörender fand ich persönlich die Erkenntnis, dass Texte grausamsten Inhalts beschrieben in adäquater Form gespielt von wirklich guten Schauspielerinnen und Schauspielern durch Verdopplung ihre Wirkung verlieren: An drei Stellen geschieht das. Gewalt wird unmittelbar in ihrem Erleben geschildert – z.B. von der jungen Nawal . Ich bin berührt. Mir stockt der Atem. Dann nimmt die ältere Nawal den selben Text wortwörtlich wieder auf. Sie macht ihre Sache gut, spricht perfekt, spielt auf den Punkt. Aber ich fühle nichts. Bin nur distanziert. Und ausgesprochen verwundert: Wie kann das sein? Sonst kenne ich so etwas nicht von mir, sonst führen ähnliche Techniken bei mir dazu, dass ich genauer hinhöre (was ich hier auch tat), sich dadurch neue Nuancen erschließen, das Ganze an Tiefe und damit an Wirksamkeit gewinnt (was hier ausblieb). Sehr eigenartig.
Tja. Und so bleibe ich ein wenig ratlos zurück. Wer sich für politisches Theater interessiert, sich mit dem Nahen Osten beschäftigen möchte, einen guten Magen hat und mit ausgesprochen expliziten Texten umgehen kann, was die Schilderung von Gewalt, Folter und Mord angeht, wird bei diesem Abend eine Menge Futter fürs Hirn finden. Und falls so jemand die Antwort auf die Frage findet, woher das Verpuffen der emotionalen Wirkung bei den gedoppelten Passagen kommt oder auch erstmal, wozu die Vedopplungen wohl eigentlich gedacht sind, würde ich mich über einen Kommentar oder eine Mail freuen.