Verdi vs. Mozart

Kann man Oper überdosieren? An diesem Wochenende ergab es sich, dass ich gleich zwei Mal hintereinander im Aalto-Theater war: am Freitag gab es Verdis Luisa Miller zum allerletzten Mal in der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf und am Samstag Mozarts Entführung aus dem Serail inszeniert von Jetske Mijnssen. 1670_2126_luisa_0374 (Ieva Prudnikovaite als Herzogin und Zurab Zurabishwilli als Rudolfo, Foto von Matthias Jung)

Bereits dieses eine Foto aus Luisa Miller lässt ahnen, wie bildgewaltig und raumgreifend Hilsdorfs Inszenierung ist – oder, wie man jetzt ja leider sagen muss: war. Wenn nicht gerade das kleine, beengte Haus Millers den Vordergrund beherrscht, ist die Bühne (Dieter Richter) so weit geöffnet, lässt so tiefblicken, dass man beinahe glaubt, man müsse die Straßenbahnhaltestelle dahinter erspähen oder doch wenigstens den Pförtner am Bühneneingang sehen können. Mancher mag einwenden, einen Vierspänner auf die Bühne zu holen, sei eine große, aber doch eher leere Geste — doch es wirkt und zugleich passt es in die ständische Gesellschaft, den aberwitzigen Prunk des Absolutismus, eben all das, was Schillers Kabale und Liebe, das ja die Grundlage dieser Oper bildet, aufs Schärfste kritisiert.

Vielleicht war es ganz gut, dass meine erste Begegnung mit Verdi diese Oper war. Als Theatermensch ist mir die Handlung vertraut und so konnte ich mich ganz aufs Hören und Sehen einlassen. Fast alle Sinne werden mit opulenten Darbietungen gekitzelt, gelockt, auch überflutet – was wiederum zu passen scheint, da dies eine Oper des 19. Jahrhunderts ist, also aus der Zeit stammt, in der das eine der Hauptunterhaltungsformen war und zugleich ebenfalls sehr auf Pracht und Fülle ausgerichtete Erzählformen wie etwa die Arbeiten Victor Hugos en vogue waren.

Außerdem hatte ich viel Freude am Wechselspiel zwischen Stimmen und Orchester, ganz besonders in den vielen Duetten und Terzetten. Als spannenden Kontrast zur sinnlichen Vielfalt auf der Bühne empfand ich das Nachdenken über die Musik – also anders, bewusster, mit mehr Betonung auf der Struktur der Klänge, Rhythmen, etc. zu hören. Dieser Zugang hatte sich bislang für mich so noch bei keinem anderen Opernbesuch eröffnet. Was die Frage aufwirft, ob man (oder ich?) erst eine gewisse Anzahl Opern erlebt haben muss, bis sich die Wahrnehmung für solche Strukturen schärft — oder ob das vielleicht eine Besonderheit Verdis (und sei es nur eine für meine Ohren & mein Denken) ist.

Mozarts Entführung aus dem Serail kam dagegen sehr viel leichter, beschwingter daher. Dabei verzichtet die Bühne auf beinahe alles und setzt auf weiße Klarheit – lauter Passepartouts, die auseinandergefahren gestaffelte Riesentreppenstufen oder schlicht weitere Bühnen ergeben und dabei zugleich ganz wunderbar vielschichtig deutbar bleiben: Weiß wie Projektionsfläche (und ist Mozarts ‚Türkenoper‘ nicht eine einzige solche – und die Liebe noch dazu?), verschachtelt und streng wie ein Labyrinth (oder eben ein Serail), aus dem es keine Entkommen gibt oder auch wie eine Art Papier, auf dem die Menschen zu Farbtupfern und die Liebenden gewissermaßen zu Chiffren, geheimen Schriftzeichen werden … so kann man die Bühne von Sanne Danz durchaus sehen:  Die Entführung aus dem Serail, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, AALTO-MUSIKTHEATER, Essen (Dem Betrachter zugewandt & gestern Abend auch Teil der wunderbaren Besetzungen: ganz hinten Maik Solbach als Bassa und selbst ganz in Weiß die wunderbare Christina Clark als Blonde. Foto: Ben van Duin)

Vor allem aber führt das dazu, dass wenig von der Musik und den Sängern, die sehr beweglich und mit viel Freude ihre Rollen tatsächlich verkörpern, ablenkt. Christina Clark etwa singt, spielt und spricht ihre verführerische Blonde mit so viel Verve, dass es die reine Freude ist. Tijl Faveyts ist ein mitreißender Osmin, der es wohl versteht, dieser an sich ja komischen Figur auch so etwas wie Tiefe zu verleihen. Simona Saturova als Konstanze nahm mich mit ihrer Kunst endlich mithinein in die Koloraturen und ließ mich (sicher nicht zuletzt dank Mozarts Können ;-)) begreifen, dass es dabei eigentlich ja um den Ausdruck von Emotionen und eben nicht um so etwas wie eine fast artistische Darbietung reiner Kehlkopfkönnerschaft geht.

Kein Wunder, dass man so beschwingt aus (diesem) Mozart kommt und so viel von seiner Musik noch am nächsten Tag im Hinterkopf nachschwingt. Und was die Eingangsfrage angeht: Nun, ich bin nicht traurig, dass ich heute Abend bei diesem fiesen Wetter zuhause bleibe und ich muss auch nicht gleich nächste Woche wieder in die Oper stürmen. Aber drauf verzichten auf diese Kunstform möchte ich inzwischen ganz sicher nicht mehr. 🙂

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