Paradox

Gestern war nicht nur Nikolaus, ich hatte auch zum vierten Mal das Vergnügen, ein Autorentutorium zu leiten. Nach all den Vorbereitungen ist es jedes Mal spannend mitzuerleben, wie anders sich die Leseproben und Romankonzepte, die Plots und Stories, all die Ideen und Erzählstimmen anfühlen und entwickeln, wenn sie plötzlich live vorgestellt werden und nicht mehr ’nur‘ Text sind. Plötzlich beginnen die Ideen zu leben und ihrerseits für höchst lebendige Diskussionen zu sorgen. Und manchmal, insgeheim, für paradoxe Gedanken …

Mitten in einer Diskussion meiner Teilnehmer, während ich eben noch dachte, wie gut es läuft, packten mich Zweifel: Gebe ich genug, hätte ich nicht mehr geben können bzw. darf ich für das, was ich gebe, Geld nehmen? Im selben Augenblick wusste ich, ich bin nicht nur Tage mit der Vorbereitung beschäftigt; ich trage die Geschichten, Figuren und Fragen der Teilnehmer tage- oder wochenlang mit mir herum, was es gelegentlich richtig schwer für mich macht, zu meinen eigenen Geschichten zu kommen. Würde ich die Zeit eins zu eins rechnen, wäre ein weit höherer Preis angemessen. Und zugleich … scheint beides sowohl typisch für mich als auch bezeichnend für die Zwickmühle aller im Kulturbereich tätigen.

Selbstzweifel gehören genauso dazu wie Selbstausbeutung. Merkwürdig, sehr merkwürdig. Muss das wirklich so sein? Wie viel ver-rückte Mädchenerziehung wirkt bei mir nach, wenn ich mich frage, ob ich für meine Arbeit Geld nehmen ‚darf‘ — oder ist das Kulturmenschenselbstausbeutungsgehirnwäsche? Woher kommt so etwas? Klar, in der Kunst gehören Zweifel dazu (im Leben auch. Wie soll man wachsen, wenn man sich und sein Tun nie hinterfragt?). Aber müssen die gleich ins Existenzielle gehen? Und ist es verquer oder einfach nur menschlich zu denken, dass es viel schöner wäre, wenn es sich jeder leisten könnte, seine Zeit zu verschenken …?

Alles sehr eigenartig und sehr ungewiss. Aber eines ist klar: Auch 2015 wird es Autorentutorien geben. 🙂

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