Für regelmäßige Operngänger und Menschen, die mit dieser Form der Sanges- und Bühnenkunst aufgewachsen sind, mag es trivial sein, für mich ist es eine Entdeckung: dass man das Opernhaus nicht nur beschwingt verlässt, sondern selbst noch zwei Tage später Melodien im Ohr bzw. auf den Lippen hat. Wer’s nicht glaubt, sollte dringend einen Besuch im Aalto bei Carmen einplanen.
Ja ich weiß auch, Hilsdorfs Inszenierung hatte bereits 1998 Premiere. Aber man entdeckt halt nicht alles gleich im ersten Anlauf, schon gar nicht, wenn man an sich eher ein Klassik- und vor allem Opernbanause ist wie ich.
Dabei steht Bizets Werk sogar in meinem CD-Regal — und staubt fröhlich vor sich hin ein, denn ich wüsste nicht mal mehr zu sagen, wann ich es wohl das letzte Mal gehört habe … doch darauf kommt es gar nicht an, denn natürlich ist eine Musikkonserve kein Vergleich zum Live-Erlebnis.
Erst recht nicht, wenn es um die Essener Inszenierung geht, bei der es so unglaublich viel zu sehen gibt, obwohl oder gerade weil die Bühne nur eines zeigt: die überlebensgroße Version einer Gelsenkirchener Kneipe.
Und wirklich, man hat den Eindruck, wo, wenn nicht dort sollte Bizets spanisch-‚zigeunerische‘ Fantasieschöpfung spielen? Wo, wenn nicht in den Pott passen Farbrikarbeiterinnen, die Männern in Uniform den Kopf verdrehen, bis sie eben jenen letztlich komplett verlieren?
Im Applaus dann hätte ich weinen mögen. Gut, das nicht vordringlich, weil mir das Opernerlebnis an sich so nah gegangen wäre. Sondern weil mir einfiel, wie sehr ein guter, lieber alter Freund – Wolfgang Walter mit Namen – diese Oper geliebt hatte, wie gern er dort als Statist auf der Bühne gestanden hatte, und dass ich ihn dort nie gesehen habe und nie mehr sehen werde, weil er vor einem Jahr verstarb.
Große Gefühle, große Oper – und so passt dann doch alles zusammen, samt Ohwürmern und dem vagen Gefühl, hinter einer der Wolken am Himmel verberge sich ein altbekanntes Lächeln …