Pudelunwohl

Gestern hab ich’s endlich geschafft, mir Christoph Roos‚ Inszenierung von Faust I + II anzuschauen, bevor diese nach der nächsten Vorstellung am 21. März abgespielt haben wird. Nicht ärgern müssen sich darüber alle Schüler und Studenten, die sich durch einen Theaterbesuch die Lektüre ersparen wollten. Ob man ohne Kenntnis des Stoffes aus diesem Abend viel mitnimmt, vage ich zu bezweifeln. Das ist an sich nichts schlimmes. Goethes Sprache verliert nicht ihre Kraft, bloß weil die Szenenfolge aufgelöst wird und in Essen als Szenerie nur ein riesiger Dreckhaufen (wörtlich zu verstehen) umgeben von einem faltigen Rundhorizont bleibt. Dafür Faust selbst zumindest zeitweilig zu verfünffachen, das hat was. Nicht, dass Jan Pröhl mit der Rolle überfordert wäre, im Gegenteil. Aber es tut dem alten Grübler Faust doch ganz gut, statt nur vor sich hin zu monologisieren zu widerstreiten oder auch mal als Chor aufzutreten.

Vieles, was Roos‘ radikaler Kürzung im ersten Teil zum Opfer fällt, stört mich persönlich nicht. Auerbachs Keller, der Osterspaziergang, Marthe – alles gut und schön, aber letztlich braucht man’s nicht unbedingt. Die Geschichte um den gar nicht so Gelehrten, der sich durch einen Teufelspakt vorm eigenen Lebensüberdruß zu retten versucht und bei der Gelegenheit dann das Gretchen (überzeugend: Laura Kiehne) zugrunde richtet, funktioniert auch ohne.

Im zweiten Teil dagegen – naja. In meinen Augen fehlt Faust II bereits von vornherein der rote Faden. Überdies ist das Werk überfrachtet mit mythologischen wie zeitgenössischen (also heutzutage ausgesprochen verstaubten historischen) Anspielungen, ohne echte Dramaturgie – das machte für mich beim ersten Leseversuch genausowenig Sinn wie gestern bei Roos. Der Kaiser bekommt statt neuer Kleider neues Papiergeld, Faust erhält dafür das Meer, dem er Land abtrotzt, was ihm aber noch nicht reicht, und mittendrin himmelt er Helena an und ist sauer auf Mephisto, wenn der bei der Umsiedlung von Philemon und Baucis nicht zimperlich ist.

Das ist ohnehin eine von den Eigenschaften, die mir Faust fern und ferner rücken: dass er einfach ein alter Nörgler, ein unzufriedener Sack ist, der Mephisto (in Essen grandios von Stefan Diekmann gespielt) alles mögliche und unmögliche herbeischaffen lässt, aber nicht mal für seine Wünsche und deren Folgen Verantwortung übernehmen will. Je älter ich werde, um so mehr erscheint mir Faust schlicht als noch so’n Kerl, der nicht drüber wegkommt, dass er längst kein junger Hecht mehr ist. Und alle Tiefe, alles Grüblerische ist letztlich nur vorgegaukelt wie Mephistos Trugbilder.

Nun ja, irgendwie reiht sich da der gute Geheimrat in eine Reihe mit Thomas Mann und Ernest Hemingway, die mir mit ihren Werken meist nur ein „Mann, deine Probleme hätte ich echt gerne!“ entlocken. 😉

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