Morgenübelkeit

Morgens ist nicht nur manch werdender Mutter übel. Ob die Nacht zuvor zu lang und ‚feucht‘ war oder sich der Magen aus anderen Gründen gegen das Aufstehen und den Tag wehrt, gerade an Montagen kommt so etwas ja häufiger vor. Und weil es mir dank Neuauflauge meiner Erkältung grad auch nicht so toll geht, gibt es jetzt die passende Leseprobe dazu:

Montagmorgen

von Mischa Bach

 

Diese Form. Diese Farbe. Und dann der Geruch …!

Wie könnte ich anders, als ihr folgen, wohin sie mich auch führen wird?

Wie ein Leuchtfeuer, eine Signalboje in der rauen See, zeigt sie mir den Weg. Sie ist einfach perfekt, perfekt sind vor allem ihre drallen Rundungen. Wie sie sich anschmiegt, sich dem Wiegen des Ganges hingibt, dabei immer wieder ein leicht ledernes Quietschen hören läßt. Dezent, natürlich. Ich glaube nicht, dass ein anderer ihren Lockruf hört, ihre aufreizend-herben Ausdünstungen riecht.

Zuerst umkreist sie die Regale in der Keramikabteilung. Vorsichtig bemüht, nirgendwo anzustossen, nichts zu berühren. Und das bei ihrem Temperament, ihren ausladend-einladenden Formen! Einmal kommt es beinahe zur ungewollten Kollision – ich halte den Atem an, als die Sektgläser auf der Etagere unter den Nachwirkungen ihrer Berührung erzittern. Aber nichts geschieht. Alles beruhigt sich wieder. Niemand außer mir hat etwas bemerkt. Gut, sehr gut. Ich hätte mich von ihrer Berührung nicht so schnell erholt, würde immer noch zittern, das ist sicher.

Gott, bin ich müde. Ich kann kaum die Augen offen halten, so müde bin ich. Müde und krank. Als ich heute morgen aufwachte, wär ich am liebsten liegen geblieben. Ging nicht, wie denn auch. Man muss aufstehen, die müden Knochen aus dem Bett zerren, sich anziehen, fertigmachen, den ganzen Mist halt. Wie ich das alles hasse … aber irgendwie muss der Mensch zu Geld kommen. Der Kaffee war alle, die Zahnpasta auch, also musste ich mit dem ekligen Geschmack von Seife im Mund los. Jetzt steh ich hier, auf meinem Posten, aber ich hab das Gefühl, ich nehme das Drumrum nicht wirklich wahr. Ist so anstrengend, die Augen offen zu halten und zu beobachten. Fühlt sich an, als ob ich alles zwar seh, aber nichts in meinem Hirn ankommt. Was steh ich auch beim Geschirr rum. Hier passiert nie etwas, weil alle wie auf rohen Eiern laufen, bloss nichts umstossen, alles gut festhalten. Ich geh, wie zufällig, zur Rolltreppe. In der Schuhabteilung ist bestimmt mehr los.

Auf der Treppe ist sie fast zum Greifen nah – was für eine Verlockung, aber ich beherrsche mich. Nur nicht im falschen Moment zupacken, nur keine falsche Aufmerksamkeit erregen. Im nächsten Stockwerk schieben sich zwei kichernde Schülerinnen zwischen mich und meine Verlockung. Ich versuche, an den ausgebeulten Schultaschen – stilloses Zeug, wirklich unmöglich – vorbei wenigstens noch einen Blick auf sie zu erhaschen. Sie hat es mir angetan, das gebe ich gerne zu. Vielleicht, weil ich an einem grauen Montagmorgen nicht mit einer solchen Begegnung gerechnet habe. Ein perfektes Gefäß wie sie trifft man selten, ich kenne mich da aus, wenn überhaupt, erhascht man so etwas höchstens im samstäglichen Getümmel und dann ist immer ein starker Begleiter dabei. Solch starke Farben, so expressive Formen, die mich in ihren Bann ziehen, bleiben selten länger als einen Moment in meiner Reichweite. Jetzt versuche ich mich damit zu trösten, ewig können die beiden Schulschwänzerinnen mich nicht von ihr fernhalten, sie vor mir verbergen.

Ich weiß nicht mehr, wie lang ich das hier schon mach. Aber manches werd ich nie verstehen: Wenn’s um Glas und Porzellan geht, also den ganzen Triss, den das Kaufhaus ohnehin gut versichert hat, dann sind die Leute so vorsichtig wie nur was. Dabei wär das schlimmste, was ihnen passieren könnte, eine Begegnung mit ’ner aufgeregten, sich tausendfach entschuldigenden Verkäuferin, wenn wirklich mal was zu Bruch geht. In der Schuhabteilung dagegen – es ist kaum zu glauben! Nicht, wie bei den Kleidern oder der Unterwäsche, wo sie alle ihre Taschen und Portemonnaies bewachen wie die Schießhunde. Dabei sind Taschendiebe, die so dumm-dreist sind, Kundinnen in die Umkleidekabinen zu folgen, so selten wie ’ne ehrliche Versicherung! Aber wenn’s um Schuhe geht, dann legen sie los. Vielleicht können sie soviel Leder auf einmal nicht verkraften? Beim ersten Paar halten sie die Handtasche noch fest, hantieren die meisten auf einem Bein stehend. Beim zweiten Paar setzen sie sich, haben sie ihre Taschen wenigstens noch dicht neben sich. Aber spätestens beim dritten oder vierten Probieren ist das vergessen. Sie springen auf, stürzen zum nächsten Paar und die Tasche bleibt liegen. Ist ja nur für ein paar Sekunden, aber für einen Profi ist das mehr als genug. Und dabei geht es dann ja um ihr Geld, nicht um das des Kaufhauses oder von irgend’ner Versicherung. Die beiden Schülerinnen machen’s wenigstens noch halbwegs richtig, passen auf das Zeug voneinander auf. Steckt vielleicht auch das eigene schlechte Gewissen hinter, denn ich glaub kaum, dass die einfach so frei haben an’nem Montagmorgen. Deshalb werden sie kaum zum Klauen hier sein, das wär dann doch zuviel des Schlechten. Und beklaut werden sie auch höchstens per Zufall – wenn bei ihnen tatsächlich was zu holen wär, würden sie nicht nur offensichtlich unpassendes Omazeug anprobieren. Die sind nur hier, um sich zu amüsieren. Überlegen höchstens, ob sie sich nachher noch heimlich Kippen kaufen, damit sie sich auf dem Weg zur Schule zurück ganz verrucht vorkommen können. Bei der Dicken mit ihren zwei Blagen besteht auch keine Gefahr. Kinder sind für sowas lästig, besser als jede Alarmanlage. Aber die große Brünette, die ist mehr als einen Kennerblick wert. Noch presst sie ihre Tasche fest an sich, als gelte es einen Schatz zu hüten. Fragt sich, wie lange noch … bloß, wer ist der Typ da hinten, der bei den Regalen mit den Kinderschuhen? Tut so unauffällig, aber lässt seinen schleimigen Blick immer wieder zu ihr rüber wandern. Ekelhaft, und doch, kommt mir irgendwie bekannt vor, der Kerl. Naja, wenn man fast jeden Tag hier ist, bleibt das nicht aus. Und ich fühl mich heut morgen auch ziemlich ekelhaft, vielleicht ist es nur das.

[…]

aus:

Montagmorgen In: “Todsicher kalkuliert. Mord(s)geschichten aus Rheinland-Pfalz” Hrsg. v. Gabriele Keiser, Edition Schrittmacher 2007.

Auch als E-Book erhältlich (einfach auf den jeweiligen Link klicken, um zum Anbieter des Downloads zu kommen):

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