Bevor ich mich zur Essener Inszenierung von Eugen Onegin äußere, weise ich lieber sicherheitshalber darauf hin, dass ich eigentlich nichts von Opern und nur sehr wenig von klassischer Musik verstehe. Eugen Onegin habe ich als kleines Mädchen als Film gesehen; das einzige, was mir davon in Erinnerung blieb, ist die Duellszene oder eher noch deren bedrückende Atmosphäre. Dabei scheint mir Tschaikowskys Opernfassung viel mehr eine Feier des Lebens, in der sich Freude mit Melancholie mischt und wo romantische Leidenschaft auf Pflichtgefühl trifft.
Was, zugegeben, nur knapp neben russischen Klischees liegt und zugleich den ebensolchen Splitter meiner Seele anspricht (etwas in der Art behauptete vor einem halben Leben mal ein russischer Komponist, der zu dem Zeitpunkt allerdings unglücklich in mich verliebt war, und mithin als unzurechnungsfähig angesehen werden könnte) – den ich bis zum Besuch der Wiederaufnahme von Eugen Onegin im Aalto-Theater fast vergessen hatte.
Die Inszenierung von Michael Sturminger besticht nicht nur durch ihre Übertragung ins Heute, sondern vor allem dadurch, dass es ihm gelingt, die zumindest für meine Ohren durchweg exzellenten Solisten und den Chor zum Schauspiel zu verführen (oder zu zwingen. Oder zu erziehen. Was weiß ich schon, welche Methoden er anwandte, um zu diesem Ergebnis zu gelangen ;-)). Ähnlich wie bei einem guten Ballett gibt es so viel Neben- und Hintergrundhandlung (etwa wenn die anderen Mädchen die ernsthafte Romantikerin und leidenschaftlich Verliebte Tatjana (Sandra Janušaitė) foppen), dass sich allein dafür mehrfaches Wiedersehen der Inszenierung lohnte.
Solche Gelegenheiten ließen sich auch nutzen, die ebenso gewaltige wie wandelbare Bühne (Renate Martin, Andreas Donhauser) in all ihren durchdachten Details genauer in Augenschein zu nehmen. Im Auf und Ab der Versenkungen bzw. der darauf platzierten Bauten entstehen immer wieder spannende wie erhellende Durch- und Einblicke. Und wenn sich der Festsaal im Schlussakt von der Hinterbühne allmählich nach vorne schiebt, während er sich zugleich auf der Drehbühne um sich selbst dreht bzw. in Position schraubt, das unterstreicht sehr schön die große Welt, die hohe Gesellschaftsschicht, die damit auf die Bühne gebracht wird.
Schade nur, dass ich zu wenig von klassischem Gesang und Opernkomposition verstehe um erklären zu können, wie es sein kann, dass mir hier der Sopran gar nicht unangenehm in den Ohren gellt, sondern schlicht präzise und kraftvoll klingt … oder was die verschiedenen Positonierungen des Chors tatsächlich bewirken bzw. wer diese eigentlich vorgibt: Regie, musikalische Leitung (Srboljub Dinic) oder Chorleitung (Alexander Eberle). Aber das Schöne an der Kunst ist ja, dass man nicht alles verstehen und durchschauen muss, um sie zu genießen.