Bevor ich morgen mehr über die Vorlieben meiner Mitjuroren erfahren und nächstes Wochenende mit ihnen gemeinsam in ‚Nominierungsklausur‘ gehe, noch ein paar Gedanken zum Unterschied zwischen Roman- und Kurzgeschichtenjurys. Besonders spannend fand ich nämlich diesmal vor allem etwas, was bei Romanjurys so gar nicht drin ist: das zweite Lesen der vorausgewählten Geschichten.
Gewiss, wenn man weiß, worauf der Plot eines Kurzkrimis hinausläuft, verändert das zwangsläufig die Art des Lesens und auch des Lesegenusses. Plötzlich liegt der Fokus darauf, die subtilen Zeichen zu erkennen, die auf genau dieses Ende hindeuten. Manche Geschichten gewinnen dadurch an ungeahnter Tiefe, werden regelrecht erst beim zweiten (oder gar dritten) Lesen so richtig plastisch. Andere, die beim ersten Mal vom Plot und dem Überraschungsfaktor her eher unspektakulär waren, entwickeln dennoch den selben Sog beim Lesen – was nur heißen kann, hier ist die Art des Erzählens wichtiger, wirksamer als der das Erzählte, eben der Plot.
Und manche Geschichte, die beim ersten Lesen mir schier den Atem raubte mit ihrer Schlusswendung oder anderen Aspekten eines besonders kunstvollen Plots, verträgt zu meiner Überraschung den zweiten Blick gar nicht. Mit dem Wissen ums Ende funktioniert der Weg dorthin plötzlich gar nicht mehr. Als könne man sie nur durch die Brille des geschickt erzeugten falschen Verdachtes goutieren – und wenn man weiß, was wirklich dahinter steckt, bricht alles andere zusammen, als sei es nie etwas anderes gewesen als eine potemkische Kulisse.
Merkwürdig. Es ist ja nicht so, dass ich sonst Kurzgeschichten grundsätzlich nur ein einziges Mal lesen würde. Ob als Herausgeberin oder Literaturdozentin, mehrfaches Lesen bleibt nicht aus. Aber als Jurorin ändert das die Dinge.
Und nun kommt die nächste spannende Frage: Was kommt dabei raus, wenn fünf Menschen auf der Suche nach den fünf besten Kurzkrimis des Jahres 2013 dieselben knapp 190 Geschichten lesen? Aber die Antwort darauf wird es erst in rund drei Wochen geben …