Gleichzeitigkeiten

Ich geb’s ja zu, auch mich ziehen zumeist Sonderausstellungen in Museen. Und wenn ich dann die Gelegenheit nutze, und mir gleich mal die ständige Ausstellung mitansehe, frage ich mich oft, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Heute war ich in Köln im Käthe Kollwitz Museumliebespaar_kollwitz Und obwohl  der Unterschied zwischen ihren dort beheimateten Arbeiten und denen ihrer Kollegen der Berliner Impressionisten der Sonderausstellung kaum größer, augenfälliger sein könnte, gehört beides untrennbar zusammen.

Denn immerhin, beides ist eine Zeit. Die vorletzte Jahrundertwende, die Hoch-Zeit der industriellen Revolution und des Großbürgertums, des Stadtproletariats und einer Bohème, einer Avantgarde, die das Licht und die Farbe an sich einzufangen versuchte –

Lovis Corinth, Kinderporträt von 1902 (Lotte Roll)

Lovis Corinth, Kinderporträt von 1902 (Lotte Roll)

eben die Impressionisten, die manchmal das Pastell der Kunstgeschichte zu sein scheinen, und daneben Käthe Kollwitz, die wie sonst nur noch Ernst Barlach oder Lembruck die Schwere und Düsternis der Kriege, seien es die zwischen Nationen oder Klassen, eben unter Menschen, einfangen, festhalten und schwarz auf weiß dem Betrachter vor Augen halten.

So dunkel wirken sie oft, die Grafiken und Drucke, aber auch Plastiken von Käthe Kollwitz. Manchmal scheint sie regelrecht von Tod und Leid besessen. Daneben wirken etwa Sabine Lepsius‘ Porträts von Großbürgern und vor allem höheren Töchtern geradezu frivol, wie Lesse Urys Cafészenen

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Lesser Ury, Im Café (Frau in Rot)

  oder all die Menschen draußen, die Max Liebermann immer wieder einfängt. Das sieht doch nach Spiel aus – und doch, diese Bilder entstehen zur selben Zeit auf dem selben Planeten, im selben Land, manchmal in der selben Stadt.

Und dann schaut man genauer hin. Zuerst das Gefühl, die Dunkelheit bei Kollwitz lässt die Farben ihrer Kolleginnen und Kollegen nur noch mehr strahlen. Danach das Begreifen, wie viel Zärtlichkeit in fast jeder auf den ersten Blick noch so düster scheinenden Arbeit von Käthe Kollwitz liegt – die Hände, die Blicke, die Zugewandheit der Körper, ganz gleich ob in Liebe umschlungen oder den andern nicht loslassen wollend, obwohl der doch bereits tot ist. Sie liebte die Menschen, denke ich, sonst hätte sie all das Leid nicht so darstellen können.

Daneben dann ihre Kollegen, die gewiss teils eine andere Gesellschaftsschicht malen. Aber doch auch nicht einfach abbilden, sondern einfangen, einen neuen Blick ermöglichen – der zum Teil bis heute verstört. Eine ältere Dame jedenfalls kam bei einem Fliederstrauß, der beim Näherkommen in lauter, bewegte, weißleuchtende Pinselstriche aus der Irritation gar nicht mehr heraus – so ginge das  doch nicht, der akkurat ausgeführte Blumenstrauß im Nachbarbild (der mich mehr an die kunsthandwerkliche Ornamentkunst im Jugendstil erinnerte), der wäre wenigstens richtig gemalt. Die Lebendigkeit des Lichtes und der Farbe schien ihr nichts zu sagen, solange die Form auf der Leinwand nicht vorzugeben versuchte, ‚realistisch‘ und ‚abbildhaft‘ zu sein.

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Maria Slavona, Häuser am Montmartre

Dabei liegt im entfesselten Pinselstrich eine ganz ähnliche Kraft wie in Käthe Kollwitz machtvollen Kohlestrichen – die Kunst macht sich die Wirklichkeit zu eigen und zeigt dem Betrachter, was er ohne diese Vermittlerin wohl übersähe: die Schönheit zerfallender Blüten, von Lichtflecken im Park oder eben das Elend der anderen, das doch so leicht auch unser eigenes werden kann.

Und so war das für mich heute eine ganz wunderbare ‚Doppelausstellung‘ – das Wiedersehen mit Kollwitz‘ Arbeiten und dazu dann das lichte Geflirre, der andere Blick auf die Moderne (das, wo auch wir heutigen herkommen) bei den Berliner Impressionisten. Wie Licht und Schatten, eins nicht ohne das andere denkbar …

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