Kai und Axel

Wahrscheinlich habe ich als Kind zuviel in der Bibel gelesen, um mich in einer christlichen Kirche wiederzufinden – spirituell betrachtet, denn Kirchen an sich sind zumeist hochinteressante und häufig inspirierende Orte für mich. Die Bibel als Inspiration für einen Krimi zu nehmen, darauf wäre ich ohne Jutta Wilbertz‘ Einladung, an Du.Sollst.Nicht.Morden. teilzunehmen, vermutlich so nicht gekommen. So aber bin ich der Frage nachgegangen, was steckt eigentlich hinter dem ersten Mord der Menschheitsgeschichte, der im Buch der Bücher erzählt wird? Und das ist dabei herausgekommen:

Kai und Axel

von Mischa Bach

Nur, weil man das Ende der Geschichte kennt, muss der Weg dorthin nicht langweilig sein. Schließlich wissen wir alle, irdisches Leben endet früher oder später mit dem Tod. Weniger spannend wird die Sache deshalb nicht, erst recht, wenn es um Mord geht. Natürlich war jedem Beteiligten klar, dass der Spiegel an der Wand des Verhörraums keiner war, und auch dass Kai … nun, auch, wenn er diesmal anders als üblich auf dem Revier gelandet war, so wussten doch die meisten, dass er nicht wirklich der war, für den er sich früher oder später ausgeben würde. Dafür kannten ihn alle zu gut. Alle, außer der jungen Frau, die schwungvoll die Tür öffnete und dynamischen Schritts in den Verhörraum trat.

Kai betrachtete sie misstrauisch, so jung und unerfahren erschien sie ihm trotz adretten Hosenanzugs und des Telefonheadsets im rechten Ohr, das sie wie ein Bodyguard wirken ließ. Sie machte eine Geste Richtung Spiegel und kontrollierte, ob das Mikrofon auf dem Tisch nun ordnungsgemäß eingeschaltet war. Anschließend setzte sie sich gegenüber Kai ans andere Ende des Tisches. Sie legte die dünne Akte, auf der „Leichensache Axel H.“ stand, auf die Tischplatte, so dass sie genau parallel zu deren Kanten lag. Dann legte sie die Hände flach übereinander vor sich, rollte die Schultern mit einem knirschenden Geräusch nach hinten, schüttelte den Pferdeschwanz und ließ ein Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen, das den Raum erhellte. So schaute sie Kai direkt ins Gesicht. Er blickte düster wie immer zurück.

„Mein Name ist Katja Feldstein, ich bin Kriminalkommissarin und werde Sie am heutigen 17.3. zur Leichensache Axel H. vernehmen. Was haben Sie dazu zu sagen?“

Ihr Gegenüber blieb stumm. Er saß da in seinem schmuddeligen Parka, mit seinen verfilzten Haaren, dem Einwochenbart, den dreckigen Fingernägeln und all den anderen Attributen, die sein Leben abseits der Menschen, draußen auf der Straße sichtbar machten. Die Frau ließ sich nicht beirren. Sie öffnete den schmalen Aktenordner, las etwas nach oder tat zumindest so.

„Soviel ich weiß, kannten Sie den Toten“, sagte sie, wieder aufblickend.

„Und wenn schon? Bin ich meines Bruders Hüter?“

„Nun ja, immerhin wollen Sie ihn gefunden haben.“

„Hab ich ja auch. Das können die Uniformierten bestätigen.“

„Stimmt. Die haben aber zu Protokoll gegeben, dass es so aussah, als hätten Sie die Leiche fort von der Straße, weiter ins Dunkel unter der Brücke ziehen wollen.“

„Das ist Blödsinn. Wozu hätte das gut sein sollen?“

„Dann haben Sie auch nicht seine Taschen durchsucht?!“

„Sehe ich aus wie ein Dieb?!“

„Keine Ahnung. Vielleicht wollten Sie ja nichts stehlen, sondern sich nur etwas zurückholen, von dem Sie dachten, dass es Ihnen ohnehin zustünde?“

„Wie meinen Sie das?“

„Kannten Sie nun Axel H. oder nicht?“

Eine kurze Pause entstand. Kai schaute die Frau aufmerksam an. Sie war anders als ihre männlichen Kollegen, mit denen er früher zu tun gehabt hatte.

„Er war … eine Art Bruder.“ Oh nein. Das hatte er gar nicht sagen wollen. Diesmal sollte doch alles –

„Wie darf ich das verstehen?“

„Wie Sie wollen.“ Er musste aufpassen, höllisch aufpassen.

„Ging es dann bei Ihrem Streit um einen Bruderzwist?“

„Streit?“

„Gestern Abend. Der Kioskbesitzer bei der Brücke, der die Behörden heute Vormittag zum Fundort rief, gab zu Protokoll, der Geschädigte sei abends zuvor mit einer Lottoquittung zu ihm gekommen. 4 Richtige mit Zusatzzahl, fast 200 € seien es gewesen. Axel H. gab offen zu, die Quittung auf der Straße gefunden zu haben. Er hat sich mit Korn, Bier und Zigaretten eingedeckt. Draußen auf dem Gehsteig wurde er von drei Kumpanen erwartet. Zweien gab er den Kasten Bier, die eilten voraus. Dem dritten wollte er seinen Rucksack samt Schlafsack tragen lassen, während er selbst die Tüten mit dem Schnaps und den Zigaretten behielt. Es wurde laut, hörte sich nach Streit an, sagt der Kioskbesitzer. Und die Beschreibung des dritten Mannes passt haarscharf auf Sie.“

„Wenn Sie das sagen.“ Sie machte es ihm wirklich nicht leicht.

„Worum ging es bei dem Streit? So unter Tippel – äh unter Brüdern?“

Damit war der Schalter Kais Kopf umgelegt. Bis zu diesem Moment hatte er darum gerungen, im Hier und Jetzt zu bleiben. Ja, er hatte Axel gekannt, und ja, er hatte von dessen Lottogewinn erfahren. Aber darum ging es doch gar nicht. Darum war es noch nie gegangen. Es ging immer nur um das eine, dachte Kai, und dann platzte es doch aus ihm heraus:

„Um IHN ist es gegangen. Und um Segen, Glück und Ungerechtigkeit.“

„Bitte?!“

[….]

wie es weitergeht, kann man hier nachlesen:

Kai und Axel, von Mischa Bach. Aus: Du.Sollst.Nicht.Morden. hrsg. von Nicolas Koch. Brendow 2013.

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