Zwei Bücher, die nicht das waren, was ich in ihnen zu suchen glaubte und die unterschiedlicher kaum sein könnten: Midsummer Nights, herausgegeben von Jeannette Winterson und Die magische Welt von Alzheimer von Huub Buijssen. Das Sachbuch von Huub Buijssen lieh mir eine Nachbarin. Wir sprachen über dieses und jenes im Treppenhaus, und als sie dieses Buch, das sich vor allem an die Angehörigen von Demenzkranken richtete, erwähnte, wurde ich neugierig: möglicherweise wird Demenz in einem meiner nächsten Romane oder doch wenigstens in einer Erzählung eine Rolle spielen. Also bin ich auf Materialsuche und nahm das Buch gern entgegen.
Es liest sich leicht und ich bin mir sicher, der Autor hat sowohl als Psychogerontologe wie als Angehörigerer große Erfahrung mit dem Thema Demenz. Dennoch ist mir mancher Rat zu einfach, ja beinahe zu seicht.
So kann ich mir zwar gut vorstellen, dass das Leben mit einem Dementen leichter wird, wenn man ihm nicht nur stets recht gibt (egal, wie fantasievoll die Geschichten auch sein mögen, in die er seine Empfindungen kleidet oder mit denen er seine Lücken verdeckt) und sich Kritik enthält (wenn jemand ‚vergesslich‘ wird, dann ist das eben so, und dass er darauf nicht allenthalben gestoßen werden möchte, macht ja Sinn) – aber ob das wirklich immer so gut ist? Was ist mit gefährlichen Fehleinschätzungen – sollte man einen Dementen z.B. allein Auto fahren lassen?
Und so sehr ich nachvollziehen kann, dass Demente ‚lieber‘ einen mehr oder minder nahestehenden Menschen beschuldigen, etwas verlegt oder gar gestohlen zu haben, wenn sie sich selbst nicht mehr erinnern, wo sie den betreffenden Gegenstand gelassen haben, weil sie nur so vor sich verbergen können, dass sie selbst eben immer dementer werden – ich weiß nicht, ob es für den so Beschuldigten wirklich stets sinnvoll, mach- und tragbar ist, diese Schuld auf sich zu nehmen, wie Buijssen rät.
Denn ich frage mich schon, wo bleibt dann der andere, der vielleicht den dementen Angehörigen mit großem Aufwand pflegt? Und wenn Demente durch den fortschreitenden Verlust ihrer kognitiven Fähigkeiten mehr und mehr auf ihre Emotionen zurückgeworfen werden – was passiert dann, wenn die anderen ihnen nurmehr ‚passende‘, möglichst ‚reibungsfreie‘ Emotionen vorspielen, die womöglich gar nichts mit dem zu tun haben, was die Betroffenen selbst fühlen? Was ist das denn für eine Beziehungen, in der dem einen das Gedächtnis samt diverser anderer Hirnfunktionen abhandenkommt und der andere ein gut gemeintes Spiel spielt?
Mir wäre das zu wenig. Wenn ich dement würde, würde das Ängste und Zweifel hervorrufen, stelle ich mir vor. Und je mehr meine Umgebung die mit Frohsinn und Zustimmung zuzukleistern versuchte, je misstrauischer würde ich wohl. Da wäre es doch besser, ich hätte die Chance, mich mit meiner Diagnose auseinanderzusetzen und könnte vielleicht auch einen eigenen Weg ins Vergessen finden (es hat ja auch einen Hauch von Zen der Selbstvergessenheit entgegen zu gehen, bevor der Körper am Ende stirbt).
Aber das muss natürlich jeder mit sich selbst abmachen. Und ich werde nun weiter Bücher zu dem Thema suchen, allerdings vorzugsweise solche, in denen Demente sich selbst noch äußern, so weit das geht. Denn das ist, was ich für meine Schreibidee suche: Innenansichten von Demenz und Alzheimer.
Auf Midsummer Nights stieß ich im Angebot eines Online-Antiquariates und ich las wohl falsch oder zu rasch. Denn ich erwartete, eine Reihe neuerer britischer Einakter zu erhalten und war höchst überrascht, als sich das Buch als Sammlung von Kurzgeschichten zu diversen Opern herausstellte, die alle eines gemeinsam haben: Sie wurden bereits beim Glyndebourne Festival in Großbritannien gezeigt.
Selten habe ich eine so weit gefasste Mischung unterschiedlichster Stile und Herangehensweisen gelesen. Aber das Beste ist: Das Buch macht unbändige Lust auf Opern und ist selbst ein Opern“führer“ der ganz anderen Art. Und das ganz sicher auch für Menschen, die sonst denken, dass Oper gewiss nichts für sie ist …
… und wo dieser Artikel eh schon Überlänge hat, füge ich noch eine Bemerkung zu einem dritten Buch hinzu: Endlich habe ich auch KrimiKommunale 3 zuende gelesen. Und falls Sie mal einen ganz anderen Blick hinter kommunale und andere Verwaltungseinrichtungen werfen wollen oder gefahrlose Triebabfuhr für Frust auf dem Einwohnermeldeamt, Wut aufs Finanzamt oder Ärger über die Müllabfuhr loswerden wollten: lesen Sie’s. Oder schenken Sie’s dem Verwaltungsangestellten Ihres Vertrauens. 😉