PoPe oder emanzipatorische Fragmente

Murder by the Book? hat Sally R. Munt ihre Untersuchung zu Kriminalroman und Feminismus überschrieben, und ich gebe gleich mal eine Sache vorweg zu: ohne mein Seminar „Schreibt sie anders, als er liest?“ hätte ich es wohl nicht gelesen und eine Menge verpasst. Dabei geht es mir gar nicht mal so sehr um Munts interessante Theorien oder die vielen Autorinnen und Bücher, die sie vorstellt (von denen ich mir so manches am liebsten gleich ins Regal stellen würde). Die echte Überraschung nicht nur bei diesem Buch, sondern ganz generell bei der Beschäftigung mit Gender und Feminismus in Bezug auf Kriminalliteratur war die Feststellung, wie überaus anregend all das für mich war (und ist).

Bislang war mein – zugegeben auf überwiegend auf Vorurteilen basierender – Blick auf den Feminismus als Theorie, isb. als Literaturtheorie ein höchst skeptischer. Ich bin generell voreingenommen, wenn es um Ideologien geht – was soll bitte so toll daran sein, wenn Ideen über Menschen gestellt werden? Verständlich, dass Feministinnen in der politischen und sozialen Praxis Parteinahme für Frauen und Mädchen fordern oder doch gefordert haben. Wer benachteiligt war und ist, braucht mehr Unterstützung als diejenigen, die ein System ohnehin bevorzugt — obwohl auch da zu schauen wäre, was gehört tatsächlich zur Struktur, was brauchen Individuen, gleich welchen Geschlechts.

Aber was soll ich mit einer solchen Parteinahme in Literatur und Kunst? Das erinnert doch arg an Sozialismus und Kommunismus, die, spätestens dann, wenn sie Staatsform werden, von der Kunst fordern, sich in den Dienst ihrer Politik zu stellen.

Von Kunst und Literatur zu erwarten, dass sie bestimmte Inhalte und Ideen zu transportieren haben, ist in meinen Augen absoluter Nonsense. Kunst vorzuschreiben, womit sie sich zu beschäftigen hat und am besten noch, in welcher Form, mit welchem Ergebnis, das ist abstrus.

Aber … darum geht es ja gar nicht. Zumindes nicht in Munts Buch und auch nicht in den meisten Theorien, die ich für mein Seminar gelesen haben. Es geht „nur“ darum, dem Blick auf die Literatur eine weitere Facette hinzuzufügen – nämlich das Geschlecht bzw. dessen soziale Konstruiertheit oder auch das Konstrukt Gender – als einen Aspekt der Produktion, der Rezeption wie auch der Ästhetik und der Wirkungsweise von Literatur zu betrachten. Im Grunde genommen könnte man sagen, es geht darum, die Illusion aufzugeben, Literatur sei allein die Sache von weißen Männern christlich-kultureller Prägung – oder sich, ganz im Gegenteil, mal klar zu machen, dass dieser Standpunkt lange Zeit stillschweigend und selbstverständlich als das Maß aller (künstlerischen) Dinge galt. Die Produzenten, die Rezipienten, die Inhalte und die Blickwinkel – jahrhundertelang ging der Kanon auf genau diese Prägung, eben weiß, männlich, christlich und noch dazu heterosexuell, zurück. Alle (oder waren es nur die weißen, männlichen Christen?) taten so, als sei das alles, was existiert oder doch zumindest alles, was der künstlerischen Betrachtung lohnt.

Und ebenso im Grunde genommen haben sämtliche Emanzipationsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts jeweils in einem satten „Nein, uns gibt’s aber auch noch“ einen Teil ihres Ursprungs. Ob es um andere Hautfarben, andere Geschlechter, andere Kulturen oder andere sexuelle Orientierungen ging – einer ganz wichtiger Schritt war immer, sich selbst zu behaupten und sichtbar zu machen.

Plötzlich hörte die Einheit oder doch die scheinbare solche auf zu existieren. Dem Einen wurde das Andere entgegengesetzt – oder vielmehr, es kamen mehr und mehr Andere hinzu, die sich auch voneinander und untereinander unterschieden.

Einerseits verständlich. Andererseits – die binäre Grundhaltung aus „hier sind wir – da seid ihr“ oder eben „Mann/Nichtmann“ bzw. „Frau/Nichtfrau“ oder auch „hetero/homo“ bleibt dabei erhalten. Und dann stellt sich die Frage, was bringt es, sich vielleicht nicht gar rein ex negativo aber doch andauernd in Abgrenzung von dem ach-so-anderen zu definieren?

Nicht nur, dass die Aspekte, die dabei jeweils betont werden, nur in ganz bestimmten Zusammenhängen im Leben tatsächlich von Bedeutung sind (sexuelle Orientierung hat was mit Partnerwahl, ob fürs Leben oder für eine Nacht, zu tun, ist aber für die Frage, was esse ich heute abend, ziemlich belanglos – um nur ein Beispiel zu nennen). Zugleich bekommen all diese Fragmente so etwas fixes, das Identität doch selbst bei Nichtmultiplen nicht ist.

Freud hat diesen schönen Begriff des Polymorph Perversen (vulgo: PoPe … soviel pun muss erlaubt sein ;-)) geprägt – der ja letztlich nichts anderes besagt, am Anfang sind wir Menschen alle noch ungeformt und alle Möglichkeiten stehen uns und unserer Neugier offen. Wieso lassen wir uns eigentlich einfangen und festlegen, wieso bauen wir „Identitäten“ auf binären Mustern, sei es homo/hetero oder vegetarisch/fleischfressend etc. auf? Was ist mit all dem dazwischen – und all dem, was wir noch sein könnten, wenn wir denn wenigstens davon zu träumen wagten?

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