Endlosschleife im Amt

Chronisch überlastet, so oder so mit Argusaugen von allen Seiten beobachtet und dabei stets in Gefahr, alles, aber auch alles falsch zu machen. Das wäre eine Art, Mitarbeiter eines beliebigen, deutschen Jugendamtes zu beschreiben. Denn wie soll man von Amts wegen außen richtig stellen, was von innen, eben aus den Familien, den sogenannten,  heraus explodiert, implodiert? Dass das nur schief gehen kann, beschreibt Felicia Zellers Kaspar Häuser Meer. In Essen hat das jetzt Thomas Ladwig inszeniert und herausgekommen ist ein teilweise ausgesprochen sehens- und hörenswerter Abend.

Von manchem an diesem Abend kann man gar nicht genug bekommen. Das Bühnenbild von Ulrich Leitner zeigt das amtliche Hamsterrad als Stapel verschachtelter Schachteln. Das erinnert auf den ersten Blick am „Little Computer People“ (für Digital Natives: ein Spiel aus der Frühzeit der Computer), auf den zweiten an den Turmbau zu Babel und bringt zugleich das Prekäre, Schwankende an der Situation der drei Damen vom Amt sinnfällig auf den Punkt. Denn sie können oftmal nur mit Mühe von einem Amtszimmer ins nächste krabbeln, kriechen, klettern.

Verschachtelt ist auch die Sprache, die ihnen Felicia Zeller aufbürdet (nachdem sie sich diese zuvor wohl bei Jelinek abgeschaut und für ihre eigenen Zwecke verwandelt hat). Amtsdeutsch und TV-Phrasen, Halbsätze und Viertelgedanken, all das gekonnt geholpert und häufig genug zu Endlosschleifen der schon schmerzlichen Art gemischt – das allein zu lernen, verdient Achtung. Wenn man das dann auch noch so überragend spielt wie Silvia Weiskopf, ist das schon manches Mal zum Niederknien.

Gut, das gelingt nicht bei jeder Figur. Barbara (Ingrid Domann), die älteste im Sozialarbeiterinnen Trio, hat teils endlos viel Text mit ebensolchen Längen. Und Anika (Barbara Hirt) ist als unerfahrenes, ebenso idealistisches wie zunächst überkorrektes Küken ein wenig zu sehr auf das Fach der jungen Naiven festgelegt. Diesen beiden Figuren hätte man mehr Spielräume gewünscht, genau wie sich mancher älterer Zuschauer wohl gelegentlich weniger Tempo und weniger schiere Lautstärke gewünscht hätte (so habe ich manche Reaktion im Saal gedeutet und womöglich verließen deshalb zwei Paare den Saal vorzeitig?).

Das Problem des Stücks scheint mir jedoch noch ein anderes. Einerseits geht es um ganz konkrete, ganz reale Dinge – eben das, was so ein Jugendamt zu bearbeiten hat, weil so vieles in Familie und Gesellschaft im Argen liegt. Andererseits ist das Stück ein wahres Kunst-Stück und damit nicht nur im Ansatz und in der Sprache Jelineks Wut- und Wortkaskaden verwandt. Aber Zeller kann sich nicht entscheiden, der Sprache, der Ästhetik, der Abstraktion zu vertrauen. Am Ende muss ganz brachial ein Fall schief gehen und eine Sozialarbeiterin vom Dach springen. Und damit ist der Abend auf dem Boden vermeintlicher Tatsachen gelandet und ich steh da mit der Frage, was genau wollte Felicitas Zeller erzählen? Oder wusste sie das auch nicht so genau, weil Kaspar Häuser Meer im Ursprung ein Auftragswerk war? Nun ja, warte ich halt auf das nächste Stück von ihr (davon möchte ich auch mehr nach diesem Abend). Am liebsten mit Silvia Weiskopf. 😉

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