Revolution 3.0 oder Occupy Bredeney

Revolutionär – was ist das schon? Die ganze alte linke Garde von Marx über Mao bis Che und so weiter? Der Wutbürger von S 21? Und was war die RAF, welcher Generation auch immer? Elfriede Jelinek hat sich mit Ulrike Maria Stuart dem tödlichen Zickenkrieg – pardon: Königinnendrama – an der weiblichen Doppelspitze, also dem privat-politischen Machtkampf von Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof verschrieben. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer begab sich mit seinem Team in die "Textwüste" der Literaturnobelpreisträgerin – und herauskam eine so bilderstarke wie wortgewaltige Premiere im Essen Grillo-Theater, eben ungemein sehenswertes Theater.

Es ist unglaublich, mit welcher Spiellust das Ensemble sich in den Text und die Auseinandersetzung mit dem Publikum stürzt und dabei alle und alles mitreißt – ob die Souffleuse als Geisel genommen wird oder die Techniker, die auf offener Bühne umbauen und gelegentlich auch mitreden, um ein bisschen Revolution angefleht werden, oder ob die Dramaturgieassistentin zur versierten Kamerafrau in Stefan Diekmanns Live-Film "Gudrun Ensslins Verhaftung – oder was tragen wir beim Anschlag aufs Kaufhaus?" wird und zwischendrin die Türen aufgehen, bloß um den Blick auf die Schließer mit Plakaten wie "Dies ist nicht das Ende" und "Die Revolution kennt keine Pause" freizugeben. Dass manche Zuschauer dennoch rausgehen, um dann von der Toilette oder der Zigarette zurückeilen zu müssen, sorgt für zusätzliche Bewegung.
Schließlich bedeutet Revolution im Grunde nichts als "Drehung", und einen Revolver als Trommelrevolver zu bezeichnen, ist fast schon gedoppelt, denn darum geht es doch: dass sich was dreht, bloß fatal, wieviel sich um sich selber dreht … auch das gehört wohl zu diesem Stück wie zu Jelinek, dass nämlich ihre wunderbaren (verwunderbaren wie verwundbaren) Wortassoziationsketten ähnliches im Kopf des Zuschauers oder Lesers auslösen oder doch in meinem Kopf …
Aber, verflucht, wie kann ich meine Begeisterung vernünftig mitteilen? Stimmt wohl, Kritik ist oft leichter zu schreiben …
obwohl … würde das heißen Jelinek mit ihrer lustvoll verzweifelten Wut, das wäre einfacher zu schreiben, als darüber zu schreiben wie diese Inszenierung in dem hervorragenden Bühnenbild von Thilo Reuther begeistert?
Das Verrückte ist, so unterschiedlich der rasante erste Teil mit seinem Ideenfeuerwerk – allein den Markt leibhaftig (Sven Seeburg) auftreten zu lassen, das muss man gesehen haben – zwischen abgrundtiefer Komik und hell lodernder, verzweifelter Wut und der fast statische, auf den Text der beiden Hauptfiguren Ensslin (Silvia Weiskopf) und Meinhof (Bettina Schmidt) reduzierte, zweite Teil sind, auch das geht auf. Auch der Bruch sitzt und passt, inklusiver meiner zwischenzeitlichen Genervtheit von all der Wut, all den Textunmengen, die die beiden Kontrahentinnen noch kurz vorm Sterben in die Welt hinausschreien.
Und dann kommt der Engel und mit ihm ein Schlussbild, das ich nun wirklich nicht verraten werde. Das müssen Sie, genau wie den hyperpinken Zungenlaufsteg, das Aufstandslager mit Mittagessensauftakt und eben Occupy Bredeney, einfach selbst erleben.
Also, los, Karten holen!

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