Im Ballett dreht sich alles um Perfektion, könnte man meinen. Dass das höchstens die halbe Miete ist, weil jede Kunst mehr als Kontrolle ihres Materials braucht, weiß (fast) jeder Tänzer. Doch was tut man mit dem schöpferischen Funken, mit dem unberechenbaren Element der Kreativität? Und was tut es mit einem Kontrollfreak aus Notwendigkeit, wenn man ihm (oder ihr) sagt: Lass dich fallen? Das ist eine Kürzestzusammenfassung des Themas von Darren Aronofskys grandiosem Kunstpsychothriller Black Swan.
Die Demontage oder vielmehr Selbstzerstörung der angehenden Prima Ballerina Nina ist ein Tanz auf dem Vulkan der Psyche, der zunehmend zur Hetzjagd durch Realitätsebenen und Halluzinationen gerät. Allein in ein und demselben Film nachfühlbar zu zeigen, dass auf blutigen Zehen Spitze zu tanzen eine der wenigen Möglichkeiten des Menschen ist, zu fliegen – und die Klaustrophobie der Mutter-Tochter-Umklammerungssymbiose ("liebes Mädchen", sagt erstere immer wieder zu letzterer und den Zuschauer schüttelt’s jedes Mal mehr) sichtbar zu machen, das ist schon eine Meisterleistung.
Doch aus der geschlossenen Welt des klassischen Balletts ausgerechnet am Beispiel Schwanensee eine gelungene Mischung aus Kunst-Film und Psychothriller und obendrein ein offenes Kunstwerk zu schaffen, das kann wohl in den USA so nur Aronofsky. Es braucht Können und Chuzpe,einen Film mit Hollywoodbudget zu drehen, der am Ende keine eindeutige Auflösung erlaubt, dessen Wahnsysteme und Halluzinationen sich ähnlich verschlingen wie in Polanskis Ekel. Diese Offenheit, das eben nicht alles spätestens am Ende aufgeht, das ist für mich Kunst. Das ist das Schreckliche in der Natur des Schönen, eben das Element des Verstörenden … das ich im oftmals zu geschlossen angelegten und einem höchst eingeschränkten Verständnis von Realismus verpflichteten Genre des Krimis schmerzlich vermisse. Wie viele Verbrechensgeschichten beginnen mit der Verstörung und enden, wenn alles möglichst restlos erklärt ist, nichts, aber auch gar nichts mehr im Unklaren liegt …
In Black Swan geschieht wundersamerweise das Gegenteil: Was mit präziser Schönheit beginnt, endet zutiefst verstören – und bekommt obendrein mich Rosa-Spitzen-Tüll-Schwanengewedel-Verächterin dazu, hinterher am liebsten sofort in Schwanensee rennen zu wollen.
Schade eigentlich, dass genau dieses Ballett derzeit im Aalto nicht auf dem Plan steht …
Der perfekte Bruch
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