Vorbei statt zuende

Freitag hab ich’s endlich mal wieder in eine Produktion in der Casa geschafft: Dort feierte Henner Kallmeyers Inszenierung von Die fetten Jahre sind vorbei nach dem gleichnamigen Film von Hans Weingartner Premiere. Die erste Stunde macht als Komödie zwischen Klamauk und Realsatire mehr als nur Spaß. Doch der letzte Akt verläppert sich, statt ins Abgründige zu kippen. Und dann ist die Geschichte plötzlich vorbei. Einfach so, mittendrin, als sei sie ihrer selbst überdrüssig. Schade. Da wäre noch viel mehr drin gewesen. 

Am Ideenmangel der Akteure kann’s nicht gelegen haben. Franziska Gebhardts Bühne als aufgeklappte Almlandschaft stellt eine prima Spielwiese mit viel Potenzial her. Und erstaunlicherweise stört es nicht, dass die Akteure von Anfang an in den Kostümen (Silke Rekort) agieren, die eigentlich erst in den letzten Akt gehören. Jule (Silvia Weiskopf) als Heidi-Verschnitt im Dirndl mit Zopfkranz auf dem Kopf macht ebenso gute Figur wie Jan (Sebastian Tessenow) und Peter (Jörg Malchow) in Sepperl-Lederhosen. Und dass der reiche Hardenberg (Sven Seeburg) den Abend im Morgenrock verbringt, lässt ihn nur um so dekadenter wirken …
Überhaupt legen Kallmeyer & co. offensichtlich viel Wert auf gelungenes Zusammenspiel. Einen Streit am WG-Fisch (sic) zu platzieren, klingt erstmal kalauernd, bekommt aber einen ganz eigenen Reiz, da Seeburg alias Hardenberg die drei Streithähne live synchronisiert. Übertroffen wird diese beachtliche handwerklich-komödiantische Leistung mit der Slaptstickstummfilmnummer, als die Kallmeyer Jans und Jules Geständnis ihres missglückten Einbruchs bei Hardenberg und Peters fassungslose Wut darüber inszeniert. Und dass solches auch hinter- bis tiefgründig sein kann, zeigt die Kaffeehaushetzerei, bei der die drei Männer sich in wechselnde Luxuskundinnen verwandeln, die die arme Jule solang triezen und terrorisieren, bis die das Kellnerinnentablett samt Sekt- und Champagnergläsern am Rande des Nervenzusammenbruchs hinschmeißt und den Job gleich hinterherwirft.
Das gefällt mir. Ich bin ja so ein merkwürdiger Sprachmensch, der Stücke ohne viele Worte besonders schätzt. Und auf die Art erzählen, illustrieren, verdeutlichen, zuspitzen oder schlicht rumspielen, das hat Henner Kallmeyer auch in dieser Inszenierzung (nicht seine beste, aber wohl auch nicht seine schlechteste) drauf.
Nur … die eigentliche Geschichte, das Drama hinter der Komik – wenn aus dem theoretisch-verkopft-klamaukisierenden Kampf der "Erziehungsberechtigten", wie sich Jan & Peter als subversive Einbrecher nennen, gegen das System ungewollt die ganz reale Entführung des ganz realen Reichen Hardenbergs wird, dann müsste mehr passieren als Schuhplattler.
Klar, der Stoff ist sicher nicht leicht. Hier ein Ende zu finden – also so ein Ding, das wenigstens rückblickend die Geschichte wo nicht abschließt, so doch zusammenfügt oder gar verschiedene Möglichkeiten, sie so oder so oder ganz anders als Ganzes zu sehen, eröffnet – das ist gewiss Schwerarbeit. Doch genau das müsste schon sein. Gar nicht mal so sehr, weil Hardenberg ja nicht irgendein "bonzenhafter Systemvertreter", sondern genau der Typ ist, dem Jule einst mit ihrem ollen, tüv- wie versicherungslosen Golf in den Mercedes SL krachte, was ihr den Riesenschuldenberg bescherte, der ihr wiederum bis heute die Lebensperspektive klaut. Sondern weil mit der Entführung aus dem Spiel eben Ernst wird: Lässt man die Geisel gehen, geht man mit ziemlicher Sicherheit in den Bau. Tötet man ihn, ist die äußere Flucht noch die geringste Konsequenz, die man zu tragen hat. Und solch eine Gewalt-Frage, eine solche Entscheidung auf Leben und Tod in einem Trio zu stellen, in dem alles andere als Harmonie herrscht (wie Dreiecke halt in Filmen spätestens seit Jules et Jim sind), das müsste gewaltige, allemal dramatische Konsequenzen haben.
Hat es aber nicht und so saß ich nach dem Blackout am Schluss im Dunkel und dachte, ach, deshalb heißt es "Die fetten Jahre sind vorbei" und nicht etwa "… sind zuende …".  
Schade. Selbst, wenn’s in der Hinsicht um die Filmvorlage – die ich bislang verpasst habe – auch nicht besser bestellt sein soll, auf der Bühne und vor allem für diese sonst in vielerlei Hinsicht gelungene Inszenierung mitsamt ihren Ensembleleistungen hätte ich mir mehr gewünscht. Oder wenigstens ein richtiges Ende.

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