Ein Schnitzel, genauer: ein Schnitzel Wiener Art, ist ein Standard der österreichischen Küche, der in keinem Wirtshaus gleich welcher Güte fehlen darf. Ein Schnitzel, das kann eine panierte Schuhsohle, ein gigantomaner Fleischlappen oder auch eine Delikatesse sein. Ähnliches gilt für die Schauspielkunst. Die kann auch so ziemlich alles sein. Was gestern abend die Premiere von Indien (Dorfer/Hader) zu einer Gourmetveranstaltung der Extraklasse macht.
Keine Ahnung, wie Regisseurin Katja Lillih Leinenweber es hinbekommen hat, doch was Matthias Buss als Heinz Bösel, Christoph Finger als Kurt Fellner und Fritz Fenne als alle anderen, also als die Wirte und der Arzt, auf die kleine Bühne der Box (das kleinste Kunst-Haus des Essener Grillo-Theaters) brachten, ließ mich staunen.
Okay, Fritz Fenne bei der Arbeit zuzusehen, ist stets ein Genuss, insofern wundert’s mich nur marginal, was er alles aus den mehr oder minder stummen bis einsilbigen Rollen herausholt, die das Stück für den dritten Mann bereit hält. Dass er mit Helga Göllners vielseitigem Bühnenbild zwischendrin geradezu die Verwandlungen von Wirt zu Wirt und Gasthaus zu Gasthaus leichtfüßig (oder schwerfällig, je nach Rollenerfordernis) tanzt, das hat was von einem Dialog zwischen Mensch und Materie. Sozusagen die kunstvolle Seite des Slapstick, der ja auch eine höchst physische Kunst ist und entsprechend begabte Köpfe auf ähnlich veranlagten Körpern verlangt.
Körpereinsatz ist auch beim Bösel, dem Schnitzeltester und Zotenreißer gefragt. Vom ersten Moment an, in dem Matthias Buss noch im Einlass den aufs Essen Wartenden mimt, über all die stummen und doch so beredten Kommentare, die seine Mimik beim Essen selbst noch abgibt, bis hin zur wilden Fahrt mit dem Krankenbett, nimmt er die Wahrnehmung gefangen. Er ist zum ersten Mal in Essen, schade wär’s, wenn es seine einzige Rolle hier bliebe. Jemand wie ihn hab ich zumindest bislang auf der Essener Bühne vermisst.
Alle drei Schauspieler leisten großartiges, aber für mich war Christoph Finger die Überraschung des Abends. Wenn ich ihn bislang in anderen Rollen sah, sah ich einen routinierten Schauspieler, jemand, der weiß, was er tut, aber der zugleich den Eindruck machte, mehr würde er nicht tun. Schwer zu beschreiben bzw. vermutlich war’s von Stück zu Stück verschieden. Aber es blieb doch stets ein Unbehagen, so ein Gefühl von Niedergedrücktsein oder Fesselung. Und dann Indien: Alles, was bislang mürrisch oder resigniert wirkte, scheint plötzlich von ihm abzufallen. So viele Gesichter, so viele Stimmen, so viele Töne, so viele Gefühle – beeindruckend die Leichtigkeit mit der er sowohl den verkrampften Möchtegernyuppie als auch dessen zunehmende Auf- und Erlösung durch Rausch und Freundschaft und letztlich sogar den Tod spielt. Das kann und will ich nicht beschreiben. Das müssen Sie sich schon ansehen.
Keine Ahnung, wie Lillih das hinbekommen hat. Aber ich find’s toll, einfach nur toll, dass ihr das gelungen ist. Darüber kann ich locker verschmerzen, dass ich mir den Schluss einen Hauch deutlicher gesetzt gewünscht hätte und die Informationen zu den Schauspielern, die im Programmheft leider fehlen, die kann man sich ja auch im Internet zusammensuchen. 😉
Schauspiel mit Schnitzel
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dankeeee 🙂
und programmheft: nun ja, irgendwie scheint es bei casa/box immer so zu sein dass nur das team biographisch dort erscheint. schade!
echt, dass machen die jedes Mal in der casa/box? hm, soll ich’s dann befremdlicher finden, dass es mir noch nie auffiel oder dass die schauspieler deswegen noch nie amok liefen? sehr eigenartig. aber, wie gesagt, tut dem stück an sich ja nun keinen abbruch 🙂