Merkwürdiger Titel – Ruhm. Und dann noch der Untertitel – "ein roman in neun geschichten". Ob ein weniger preisgekrönter, weniger gelobter Schriftsteller als Daniel Kehlmann damit durchgekommen, ja, nur bei einem Verlag angenommen worden wäre? Wer weiß das schon … und das wiederum passt zum Grundmotiv des Geschichten-statt-Kapitel-Romans, der an den Spruch erinnert, dass Wirklichkeit und Fiktion zwei Kannibalen sind, die auf einer einsamen Insel notgelandet sind ….
Einerseits mag ich durchaus metafiktionale Erzählungen – als halbwegs intelligenter Leser weiß ich längst, ein Text ist ein Text, das sind Worte, das ist erfunden, vorzugeben, ich wüsste das nicht, wüsste auch nicht, dass die Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen außerordentlich brüchig bis fließend sind, wäre ziemlich albern. Andererseits kann metafiktionale Literatur ungeheuer nerven. Wie viele Autoren erliegen der Versuchung, sich mit einer besonders clever gestrickten Meta-Erzählung in den Vordergrund zu spielen … und dann kann man überdeutlich den Unterschied zwischen Kunst und Kunsttückchen beobachten. Ein Beispiel für beides und zudem für grandioses Gelingen wie erschreckendes Scheitern an der selbstgewählten Aufgabe ist John Fowles, doch das nur am Rande.
Kehlmanns "Ruhm" also. Gewiss ist das Buch um Klassen besser als viel zu vieles, das die Buchläden verstopft. Allerdings bedeutet diese deutliche Begabung, dieses Mehr an Möglichkeiten auch, dass bei mir höhere Erwartungen geweckt werden – nur, wurden die auch eingelöst?
Bis auf eine Geschichte habe ich alles mit Spannung und Genuss gelesen. "Ein Beitrag zur Debatte" ist für mich indiskutabel; indem Kehlmann sich seitenweise im Posting-Foren-Blogg-Mail-Stil eines Nerds (oder was immer er dafür hält) verbreitet, liefert er nicht nur seine Figur aus, er verfährt analog des Denkfehlers, nachdem die Darstellung von Langeweile selbst langweilig sein müsste.
Aber, immerhin, acht Geschichten hab ich sehr gern gelesen. In acht Geschichten stolperte ich manchmal über kapriziöse, über-bildete Wortwahl (beispielsweise Abort – es mag Erzählungen geben, wo dieses Wort hineingehört, es wird sicher viele Figuren geben, in deren Wortschatz das gehört, aber hier passt es nicht, hier fällt es raus wie eine Orchidee im Bauerngarten), doch das tat dem Vergnügen keinen Abbruch. Wobei er durchaus einen Hang zum Abbruch zu haben scheint, denn er lässt gleich mehrere Geschichten schlicht abbrechen – und zwar in einer so eigentümlichen Form, dass nicht mal ein offenes Ende bleibt, sondern das Ende an sich ausbleibt.
Das mag vielleicht kunstvoller sein, als es mir beim ersten Lesen erscheint. Dass allerdings gleich drei Schriftsteller auftauchen müssen – es gibt wahrlich Interessanteres als Schriftsteller, vor allem wenn sie sich zu 90% so klischeehaft verhalten wie diese -, das hätte ich nicht gebraucht (und macht auch erstmal wenig Lust auf ein sofortiges Wieder-Lesen, was an sich bei der kaleidoskoparigen Erzählform sonst sehr naheläge).
Andere Geschichten dagegen … "Rosalie geht sterben" oder "Der Ausweg" … solche Erzählungen findet man selten. Und damit bin ich letztendlich versöhnt. In einer Sammlung von neun Erzählungen eine unterirdische, diverse höchst lesbare und dazu noch anderthalb bis zwei wunderbare vorzufinden, das ist eine ungewöhnlich gute Ausbeute.
Ob ich das alles zudem als Roman ansehe, steht auf einem anderen Blatt. Sagen wir so: Klar gehören die Geschichten zusammen, und zwischen ihnen entsteht ein Mehr, es ergibt sich sogar eine Summe. Doch ob diese gleich ein Ganzes impliziert und das dann mehr ist als die Summe der Teile, wage ich zu bezweifeln. Dass die Romanskizze, als die ich dieses Nicht-Ganze bezeichnen würde, noch besser ist, als vieles, das ich im Lauf der Zeit gelesen habe, naja, weniger hätte ich von jemand wie Daniel Kehlmann auch nicht erwartet …
Ruhm
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