Ein dunkler Zuschauerraum, nicht ganz ausverkauft. Noch leerer ist die Tanzfläche auf der Bühne, die Party dort kommt trotz wummernder Bässe nicht in Gang. Im Dunkel vor mir erhebt sich ein älterer Herr, schleicht zur Tür – und stellt fest, leicht und lautlos kann er sie nicht öffnen. Und bevor er die anderen stört, schlurft er lieber zurück zu seinem Platz. Knapp 2 Stunden hat er da noch vor sich, denn so lange dauert Nuran Calis‘ Fassung von Krankheit der Jugend in Essen nun mal.
Das klingt nicht allzu lang, wird es aber zwischendrin doch. Mag sein, dass Ferdinand Bruckners Stück schwach ist und Nuran David Calis mit seiner (mal wieder) modernisierten Fassung dafür erstaunlich viel aus dem Stoff herausgeholt hat. Das kann ich nicht beurteilen, ich kenne Bruckners Fassung nicht. Aber dass ich einer Glückssuche beiwohne, dass ich die Jugend als gefährliche Krankheit oder doch entscheidend dramatische Lebensphase miterlebe, wie das Programmheft (Dramaturgie: Thomas Laue) suggeriert, kann ich nicht bestätigen.
Ich sah eine simpel wirkende, (licht)technisch sicher nicht leichte Bühne – vier weiße Kästen aus Leinwand auf einer Drehbühne, IPod-Starenkästen für Menschen, so kam es mir vor – und immer wieder Videos. Eigentlich kann ich Videos auf der Bühne schon lang nicht mehr sehen; sie kommen mir oft vor wie der letzte Schrei verzweifelter Regisseure, denen sonst nichts mehr einfällt.
Gestern abend waren dabei zumindest ein paar hochinteressante (ästhetische) Experimente – Karnik Gregorians Arbeiten wären für sich genommen sicher spannende Videoinstallationen und eine Bereicherung für zeitgenössische Kunstausstellungen. In Krankheit der Jugend jedoch … sagen wir so: Die Bilder retteten mich vor so manchem, gestelzten Monolog.
Das ist jetzt bitte nicht als Kritik an den Schauspielern zu verstehen. Was Nadja Robiné (Marie) und Nicola Mastroberardino (Freder) zu leisten vermögen, weiß ich sehr gut und schätze ich noch mehr, und zu meiner Überraschung fand ich diesmal sogar Barbara Hirt (Lucy) über weite Strecken mehr als erträglich.
Mein Eindruck war, das Stück trägt nicht. Da stimmt so vieles nicht, allem voran die Figurenzeichnung: Menschen sollen sie sein, keine Agenten des Textes wie bei Sarah Kane, sondern Wesen, Spiegel, die die Zuschauer berühren. Aber dafür hätte es der Psychologie bedurft,dafür hätte sich zuerst der Autor, dann der Regisseur auf die Figuren einlassen müssen … dass die Schauspieler es ohne diese Vorarbeit nicht schaffen, mich mit der zerfaserten Geschichte zu berühren, ist wahrlich nicht ihre Schuld.
Vereitelter Fluchtversuch
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