Hinkend

Spanische Inquisition und modernen Überwachungsstaat in eins zu setzen, das kann man machen. Und wenn man das macht, mag die leere Bühne zu recht von der über ihr hängenden, riesigen, senkrechten Fläche, die mal Spiegel, mal durchsichtiger Schleier, meist aber Videoleinwand ist, beherrscht werden. Genauso, wie sowohl Alba (Siegfried Gressl) als auch (gegen Ende) König Philipp (Andreas Grothgar) und sein Großinquisitor (Werner Strenger) hinken dürfen. Aber – muss das wirklich sein? Und was bringt es?

Anselm Weber hat so den Don Carlos in Essen inszeniert, sein Dramaturg Olaf Kröck einen braven Erklärungstext zum Thema Überwachung ins Programmheft geschrieben, und doch, was soll’s? Was bleibt denn außer einem schiller’schen Ideenstück vor medial-moderner Kulisse?
Gut, ja, Don Carlos ist gewiss kein leichts Stück. Schon Schillers Versuch, die Ideale der Aufklärung durch Marquis Posa (Roland Riebeling) als trojanisches Pferd in die Zeit der spanischen Inqusition zu transportieren, könnte man sowohl als gewagt wie auch als schwierig bezeichnen. Und dass sich heute die Gleichung menschenverachtender Absolutismus = moderner Sicherheitsfanatismus im Überwachungsstaat aufdrängt, ist geschenkt.
Nur – was weiter? Das reicht doch nicht allein für eine Inszenierung. Das braucht mehr, würde ich meinen. Eine Vision, eine klare Vorstellung vom Stück wie von dessen Bezug zur Welt draußen – doch für mich blieb’s gestern Abend bei Szenen. Manche waren gelungene Bilder (dauerten oft aber zu lang), manches Mal erstaunte mich Nicola Mastroberardino, wenn er Schillers Don Carlos so brillant spielte, den Text so sprach, als dächte er es gerade jetzt. Dazwischen gab es aber nur allzu viele Szenen, die schier unerträglich waren – ich wollte wahrlich nicht sehen, dass Barbara Hirt die beherrschte Königin Elisabeth genauso verkrampft-krampfig mit gepresster Stimme spielt wie ihre Elektra. Und was Andreas Grothgar als König Philipp angeht – nun, wer schreit, hat nicht nur nicht recht, man glaubt ihm auch nicht mehr. Da schweige ich doch lieber und wundere mich über den Premierenapplaus ….

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