Berückende Körpersprachen

Noch ein Mal können Sie das sehen, was ich gestern endlich erleben durfte – nämlich Die Kinder , ein Ballett von Christian Spuck nach Edward Bonds gleichnamigen Stück. Selbst, wenn Sie dafür anreisen oder eine Familienfeier verschieben müssten, es lohnt sich allemal.

Ich jedenfalls bin schwer beeindruckt – was viel sagt, wo ich sonst nicht grad leicht zu beeindrucken bin. Okay, nun mag es Menschen geben, die ein Problem mit der elektronischen Musik Martin Donners haben (ich hab nur das Problem, dass ich mich einfach nicht erinnern kann, wo ich welches Werk von ihm bereits schon mal gehört/gesehen habe) und auch solche, die Edward Bonds Ideen an sich nicht mögen. Auch sollte man keine zu idyllisch-idealistischen Auffassungen von Kindern hegen … aber ich schweife ab.
Allein die Körpersprachen – die Kinder, also die Tänzer, bewegen sich wie solche: Kinder an der Grenze zur Pubertät, Menschen, deren Körper nicht mehr so selbstverständlich passen wie ein Babystrampelanzug, junge Wesen, deren Platz in der Welt ungefähr so gesichert scheint wie der eines Eiswürfels in Daddys Whiskeyglas respektive Mommys feurigen Racheplänen … Gefühle aller Art spiegeln sich in seltsamen Haltungen. Schüchternheit und Coolness, kindliches Spiel und Grausamkeit wechseln mit Zärtlichkeit, Verlorenheit, schlagartig, einfach so. Kindheit und Pubertät als Haltungen, als Körpersprachen – und dann ganz plötzlich entsteht daraus klassischer Tanz, löst sich der Schrecken und die tiefere Heimatlosigkeit der Kinder für einen Moment berückender Schönheit und Eleganz. Atemberaubend dabei zuzuschauen.
Und mehr noch: Zwei Schauspieler – Bettina Engelhardt als Mutter, und Mark Oliver Bögel als Seemann/Vater – sind die erstaunlich perfekte Ergänzung. Sie dienen nicht einfach als Krücken zwecks Vermittlung der komplex wie eigen-artigen Erzählwelt Bonds. Hier tritt das Sprechtheater in einen gelungen Dialog mit dem Ballett. Gelungen vor allem, weil einerseits Sprachrhythmus und -duktus musikalische Qualitäten besitzen und zu Kontrapunkten für Donners Musik werden. Andererseits gelungen, weil die beiden Schauspieler hier überhaupt nicht herausfallen, sondern choreographisch passend agieren. Was für mich eine angenehme Überraschung ist, denn normalerweise wirkt jeder Nichttänzer, der neben einem Tänzer eine Bühne betritt (und sei es nur zum Premierenapplaus) wie ein Trampel. Das ist einfach so. Bislang hielt ich das für unvermeidlich. Aber gestern wurde ich eines besseren belehrt – wenn die Chroreographie Alltagshaltungen in klassischen Tanz integrieren kann, dann kann sie allemal Schauspieler als um Stimmen erweiterte, andere Körper in ihre eigene Dramaturgie und Ästhethik einbauen.
Wie gesagt, ich bin schwer beeindruckt, was man unschwer merken dürfte. Schade eigentlich, dass Tanz als ach-so exotische, schwer entzifferbare Kunst eines angeblich ach-so kleinen, ach-so bürgerlichen Publikums gilt. Eigentlich ist Tanz ja eine der Universalkünste schlechthin …

Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Berückende Körpersprachen

  1. Heike Hurlin sagt:

    Hallo Frau Bach,
    ich habe das Stück kürzlich gesehen und eine Einführung von Prof. Eggers dazu gehört, ich war mehr als begeistert und freue mich auch die Zusammenarbeit mit Ihnen im nächsten Semester.
    Viele Grüße
    Heike Hurlin

  2. mischa sagt:

    Hallo Frau Hurlin,
    wie schön, Ihnen auch hier zu begegnen. Ich hoffe bloß, im nächsten Semester erwartet niemand Tanz-Kunst von mir – das wäre eine kleine Ewigkeit zu spät. 😉
    Auf zu kriminell-kreativen Taten!
    herzliche Grüße
    Mischa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert