Als ich gestern zum Theater lief, um mir die nächste Premiere zu gönnen, dachte ich noch, wie schön, dass ich diesmal so gar nichts über das Stück weiß. "Fucking Amal" sagte mir so viel wie der Name des Autors Lukas Moodysson: nichts. Dabei hätte der schwedische Klang von letzterem mich darauf bringen können, dass das ein Irrtum ist.
So aber wurde die Inszenierung von Henner Kallmeyer für mich zum besonders spannenden Spiel aus Erwartungen und Überraschungen. Und die erste war: Es gibt einen Clown mit Engelsflügeln (Matthias Eberle), der wie ein pantomimischer Erzähler erst in und dann durch die Handlung führt. Unerwartet war an dieser Figur vor allem, dass sie mir wunderbar gelungen scheint – poetisch, traurig und doch realistisch, komisch und eigen und immer wieder überraschend, durchdacht, mit vielen wunderschönen Detaileinfällen ausgestattet, bereichert sie Stück und Zuschauer. Selbst mich berührte diese Figur, und das will was heißen. Denn ich kann Clowns eigentlich überhaupt nicht ausstehen.
Die zweite Überraschung folgte mit Anastasia Gubarevas erstem Auftritt als Agnes. Da wurde mir nämlich klar, dass ich mal wieder einen Titel vergessen hatte. "Raus aus Amal", stimmt, ja, so heißt einer meiner schwedischen Lieblingsfilme, und so weit ist der Stücktitel ja auch nicht davon entfernt … nun ja, das kommt davon, wenn man kein nennenswertes Namens- und Titelgedächtnis hat.
Deshalb entschuldige ich mich gleich vorweg bei all den wunderbaren, jungen Schauspielern, falls ich auch deren Namen immer mal wieder vergessen sollte, obwohl man sie sich allesamt dringend merken sollte:
Ansatasia Gubareva hat eine Stimme von großer Ausdruckskraft und sie spielt zugleich zurückgenommen wie voller Intensität die Außenseiterin im Kaff Amal. Zarte Gefühle für Elin, die beliebte Schöne, verborgen in großer Wut, das hat was.
Marina Frenk ist eine großartige, höchst physische und sinnliche Elin. Kein Wunder, das Agnes sich in sie verliebt. Und auch kein Wunder, dass diese Liebe am Ende allen Vorurteilen und Ängsten zum Trotz aufgeht. Denn diese Elin sucht mehr als einfach nur Abwechlsung im langweiligen Heimatkaff und das findet sie eben genau so.
Auf der Suche sind sie alle, wie alle Teenager wohl überall auf dieser Welt. Und sie alle stellen sich Sinnfragen, auch, wenn die der beiden eishockeyspielenden Jungs (Matthias Thömmes als Marcus und Sebastian Ganzert als Johan) sich deutlich simpler oder eben hormongesteuerter ausnehmen als die Träume der Mädchen. Camilla (Anna Staab) bringt das prägnant auf den Punkt: Jungs sind eben immer um ein paar Jahre zurückgeblieben und ihre Bedürfnisse, nun ja, die sind leicht zu befriedigen. Selbst Jessica (Jennifer Lorenz), die sich mit Marcus den "King" geschnappt hat, sieht das – doch sieht sie im Gegensatz zu ihrer Schwester Elin keinen Ausweg, keine Alternative. Noch größer ist die Zerrissenheit zwischen Leben und Traum für die verkrüppelte Viktoria (Alice von Lindenau). Fast schmerzhaft spielt sie die reale Behinderung samt Ausgrenzung durch die andern und Boshaftigkeit gegen die als Lesbe vermeintlich noch "schwächere" Agnes. So richtig zeigt sie Wut wie Lebensgier nur einmal, nämlich wenn sie von Gesundheit und Rache à la "Kill Bill" kampfkünstlerisch tanzend träumt.
So viele Details, so viele Einfälle, ausgeführt von sauber gearbeiteten Figuren, hab ich in letzter Zeit selten gesehen. Insofern ist die Tatsache, dass für mich das alles ein großes Ganzes voller Sprünge und Brüche wird, das man sich gut und gerne ein paar Mal anschauen könnte, wahrlich keine Überraschung.
Erwarten Sie das Unerwartete – auch von den Ensemblemitgliedern: Wenn Anuk Ens ganz ohne Worte höchst beredt wird, Anne-Marie Bubke "von kleinen Hasen davon getragen wird" und im nächsten Moment eine Art Spiegelpantomime mit Nachbar Holger Kunkel aufführt, dann wissen Sie, Sie sind in der Casa und sehen "Fucking Amal". Und das ist dann sicher gut so …
Erwartungen, Überraschungen und ein Clown
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lach! ich kann das stück auch nur empfehlen… großartigen dank an den wunderbaren jahrgang der folkwangschule 🙂 und die drei ebenso wunderbaren „alten hasen“
Wow… vielen Dank für den grandiosen Theater-Abend!
Ich habe den Film „Raus aus Amal“ öfters Jugendlichen gezeigt und mit Ihnen darüber gesprochen… So kannte ich die Story und war gespannt auf die Umsetzung!
…diese wurd voll und ganz übertroffen. So viele kleine, nette Details und 2 schöne, power „Mädels“!
Toll, dass das Thema „Lesbischsein“ im Theater Platz gefunden hat!