Die Uraufführung einer Oper denkt man sich normalerweise mit rotem Teppich, großen Roben und ebensolchen Lüstern. Außer man denkt an Stockhausen & co., dann tragen alle schwarze Rollis und blicken ernst. Kinderopern dagegen erblicken das Bühnenlicht der Welt morgens. Aufwachen mit Gesang, so kann’s auch gehen.
Oder vielmehr, so hätte es gehen können. An sich stimmt ja alles oder doch wenigstens vieles bei dieser Zusammenarbeit zwischen Herbartschule (Essen-Katernberg) und Philharmonie: Jörg Schades Texte sind mal komisch, mal tragisch, sowohl alltagstauglich als auch poetisch. Andreas Tarkmanns Musik verzaubert vom ersten Ton an. Banda Stagione klingt selbst mit E-Cembalo und in einer Turnhalle wunderbar. Dass der sehr junge Chor gelegentlich verschämt-leise bis kaum hörbar bleibt, kommt vor, kann passieren, damit kann man leben. Das Bühnenbild (Erika Herrmann) mit den fantasievollen Kinderzeichnungen ist einfach ein Märchentraum. Und die Sänger tun ihr bestes, ich glaub nicht, dass die Bemerkung eines kleinen Besuchers zum Feen-Sopran Amaryllis (Alexandra Leiße), "Mama, die jodelt ja" abfällig gemeint war. Okay, ich hab mich schon immer gefragt, wieso ist der Sopran immer die Gute und Alt respektive Mezzo-Sopran die Böse (hier: Barbara Grabowski als Böse Fee Kora)? Und wieso sticht sich Dornröschen an einer vergifteten Spindel? Was hatte das vor knapp 400 Jahren, als Charles Perrault dieses Märchen (auf)schrieb zu bedeuten? Sie hätte sich auch an einer Gräte verschlucken können oder vom Pferd getreten werden können …
Aber ich schweife ab. Wobei – solche Fragen gehören für mich durchaus ins Theater und auch in eine Uraufführung. Ich find’s klasse, wenn man mir einen an sich ja altbekanntn Stoff auf neue Art serviert (Regie: Annette Wolf), so dass ich für mich neue Aspekte und Fragen entdecke. Und in Dornröschen steckt wirklich eine Menge, über das es sich nachzudenken lohnt, unabhängig davon, wie alt man ist: Was ist Schicksal? Wenn Dornröschen bei aller Mühe, allem Überbehüten der Eltern dennoch dem Fluch nicht entgehen kann, wäre der Fluch überhaupt aufzuhalten gewesen? Hätte es etwas geändert, wenn die "böse Fee" eingeladen worden wäre? Würde eine Leben nur in Süße, ausschließlich in Glück, eben ganz und gar behütet und beschützt von fürsorglichen Eltern und gluckenden Feen für irgendwen auszuhalten sein? Braucht es den Fluch für das Glück, so, wie das Leben Geburt und Tod braucht, um sich zu vollenden?
Fragen über Fragen. Aber eine Frage drängte sich noch auf, und auf die hätte ich verzichten können: Was soll dieser Erzähler (Michael Kaufmann) in dieser Geschichte? An vielen Stellen hätte es keinerlei weitere Erklärung gebraucht. An anderen Stellen fielen Text und Präsentation zu sehr raus aus dem Gesamtbild – weniger wäre mehr gewesen, und es hätte auch als Sprecher eines Profis bedurft, genau wie bei Sängern und Musikern. Schön, dass Michael Kaufmann als Leiter der Philharmonie Kinden Musik nahebringen will. Nur, diesen Part hätte man besser besetzen können. Es muss ja auch niemand alles können. Ich z.B. könnte weder Opern singen noch Philharmonien leiten …
Schade. Aber … vielleicht ist das wie mit dem Fluch und dem süßen Prinzessinnenleben? Vielleicht kann man solch einen Misston als Kontrast betrachten, der die Harmonie und Schönheit des restlichen Werkes betont?
Wie auch immer, als erste Opernerfahrung für kleine und große Menschen ist dieses "Dornröschen" sicherlich eine gute Idee!
Schlafen und Singen
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit andreas_tarkmann, dornroeschen, herbart_schule, joerg_schade, la_belle_au_bois_dormant, mischa_bach, philharmonie_essen verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.