Grau, schwarz, unwirtlich, fast abweisend: So präsentiert sich die Bühne, die Karoline Zorbas für die Essener Inszenierung von Andreas Veiels & Gesine Schmidts Dokudrama "Der Kick" geschaffen hat. Grau, blau und überraschend rot die "Uniformen" aus Rolli, Jeans & gesprühten Springerstiefeln, mit denen Ernst Herlitzius die Schaupieler hinausschickt vor die schwarze Wand, auf die graue Podesterie, Bild einer trostlosen Welt.
Dennoch, unabänderlich, womöglich langweilig ist hier nichts. Im Gegenteil. Gerade durch den strengen Rahmen, durch den Verzicht auf Requisiten, Musiken und anderes Brimborium gelingt es Regisseurin Katja Lillih Leinenweber, Freiräume für die Schauspieler und die Figuren zu schaffen. Äußerlich sind es nur Details, mit deren Hilfe sich Katja Heinrich, Raiko Küster und Martin Vischer in rund 30 verschiedene Figuren verwandeln. Doch was dahinter steckt, ist professionelle Präzision und wohl auch eine gehörige Portion Mut.
Damit meine ich jetzt gar nicht die Tatsache, dass die Basis des Stücks reale Interviews sind – Interviews mit den realen Tätern, Zeugen, Angehörigen, eben allen, die mit der Ermordung des 16jährigen Marinus Schöberl durch drei junge Männer, die eigentlich seine Kumpel waren, zu tun hatten. Denn aus meiner Sicht macht es für die Bühne keinen oder höchstens einen marginalen Unterschied, ob das, was dort mit dramatischen Mitteln ausgelotet wird, so geschehen ist oder nur so hätte geschehen können.
Zum realen Hintergrund dieser Geschichte gehört die Wende, gehört ein Dorf im Osten mit hoher Arbeits- und ebensolcher Perspektivlosigkeit und erschreckend weit verbreiteten rechtsradikalen Ansichten unter allen Beteiligten, Nichtbeteiligten und Wegschauenden. Würde es jedoch nur darum gehen, dann hätte ein Stück über das, was sich 2002 im realen Potzlow abspielte, nicht viel auf der Bühne der Essener Casa im Jahre 2007 verloren. Aber es geht um mehr, um Fragen nach Gewalt und wie sie entsteht, um Ideologien ohne jedes Ideal und jede Logik, um Verqueres und Verschwiegenes und immer wieder die Frage, wie konnte es dazu kommen? Wie weit muss ich mich von mir und meinem Menschsein innerlich entfernt haben, um einem anderen Menschen – auch noch einem, den ich kenne – auf den Kopf zu springen? Und wie erschreckend muss es sein, wenn ich danach begreife, ich weiß nicht, warum ich das getan hab, aber ich krieg’s nicht mehr aus meinem Kopf? Wie lebt ein Mensch, der vorher schon keine Perspektive hatte, ein ganzes Leben mit dem Wissen, wie es sich anfühlt, getötet zu haben?
Das sind für mich ein Teil der wirklichen, wesentlichen Fragen dieses Stücks. Und dass es gelingt, dass die Inszenierung ein echter Kick ist, nun ja, das liegt für mich daran, dass die Kunst über die Wirklichkeit hinausgeht, in dem die Kunst die realen Aussagen deutet, in Beziehung zueinander und vor allem zum Publikum setzt. Hier hat sich ein ganzes Team den Fragen gestellt, vor denen man sonst zurückschreckt. Und das Ergebnis ist keine soziologische Studie, kein Satz billiger Antworten oder fertiger Urteile. Urteilen muss der Zuschauer schon selbst …
P.S.: Einen kleinen Einwand hab ich doch. Die Schlusssätze hätte ich mir in anderer Reihenfolge gewünscht. Egal, was im Text steht, das Stück nicht nur mit den Urteilsverkündungen an sich, sondern auch noch mit der Bewährungsstrafe des 3. Täters, der im Stück nicht mal auftritt, enden zu lassen – nein, das passt für mich nicht. Das ist dramaturgisch daneben (zumal dieser aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen beinahe abwesende 3. Täter die Krux des Dokudramas zeigt – wär’s schlicht Drama, hätte man diese Figur ersatzlos gestrichen oder aber ihr Raum auf der Bühne zugestanden). Der Tod der Mutter des Opfers am Tag der Urteilsverkündung – das wäre für mich ein Schlusssatz gewesen, der dieser Inszenierung würdig gewesen wäre. Aber auch so gilt: Hingehen & anschauen!
danke, mischa! 🙂
Da nicht für. War einfach nur die Wahrheit oder eben das, was ich gesehen, gedacht, gefühlt hab … also wohl eher: Dank an Dich. 🙂 mischa