Anfang. Ende. Theater.

Es gibt Stücke, da ist der erste Blick auf die Bühne irritierend – und das hat nichts mit dem Bühnenbild, dem Licht, oder irgendeinem konkreten Regieeinfall zu tun. Nein, es gibt Stücke, unter denen im Gedächtnis neben allem andern Filmbilder liegen, nur sind die in schwarz/weiß. Und eine bunte Bühne (hier: Ansgar Silies), egal wie beige-gelb zurückgenommem & in trashigem 70er-Jahre-Look, samt eindrucksvoll verschachtelten Spielebenen, ist da eben ein Schock. Ach ja, bevor ich’s vergess, gestern war Premiere hier in Essen: "Endstation Sehnsucht" .

Und ich war dabei … bis auf zwei Minuten. Es war ein peinlicher Fehler, umittelbar vor dem Theaterbesuch eine Kanne grünen Tee zu trinken. Ich wusste doch, Schirin Khodadadians Inszenierung dauert zwei Stunde und hat keine Pause … Gottseidank saß ich relativ nah am Rand und noch besser, ich durfte oben auf dem Rang wieder rein und mir das Drama zuende anschauen. Dabei ist dasso eine Sache mit Tennessee Williams vermutlich bekanntesten Stück …
Der Süden. Die schwüle Atmosphäre. New Orleans. Das verlorene Belle Reve mit seinen weißen Säulen. Die gebildete Südstaatendame Blanche, die keine Dame mehr ist. Der animalische Stan. Stella, ihm verfallen. Mitch, zu schwach, um der Held zu sein. Ich weiß nicht, ob diese Kombination in der Form vor Tennessee Williams schon so existiert hat, aber sie hatte wohl von Anfang an klassisches Dramenformat. Wobei es eher ein Melodram ist, für mein Empfinden, denn man weiß doch, wie es ausgehen wird. Und ich denke, das weiß man auch, wenn man nicht mit Elia Kazans Verfilmung aufgewachsen ist, und man muss auch nicht, wie ich selbst, vor 20 Jahren mit dem Stück auf Tournee gewesen sein (als Beleuchterin … die im Dunkeln sieht man nicht … ;-)), um das tragische Ende zu ahnen.
Auf dem Weg zu diesem Ende hat das Stück Längen. Da ruckelt die Straßenbahn, gerät ins Stocken, bevor sie die Endstation erreicht … und ich bin ziemlich sicher, das lag nicht an meiner Blase noch an der Regie. Letztere war mir in manchem zu kleinteilig, teils auch zu verschwommen, aber zugleich hat sie Platz gemacht für großartige, schauspielerische Leistungen. Allein wegen Blanche (Judith van der Werff) und Stan (Andreas Grothgar), aber ganz sicher auch für Stella (Katharina Linder – leider nur Gast in Essen) und Mitch (Werner Strenger) lohnt sich der Besuch. Unbedingt.

Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass ich irritiert bin, weil ich nicht weiß, nicht mal nach all den Jahren, was mich an dem Stück fasziniert. Was mich stört, liegt auf der Hand. Die Uraufführung liegt 60 Jahre zurück – und das merkt man. Wie Blanche altert manches an der armen Endstation nicht so gut, fürchte ich. 1947 auf der Bühne und 1951 im Film mögen ein Kerl im Unterhemd, der rumbrüllt, der säuft und vögelt wie ein Tier, ein Schock gewesen sein. Das hat sicher auch Türen aufgestoßen, keine Frage. Aber heute nervt die Schreierei, selbst bei so guten Schauspielern wie diesen.
Gut, das dauert ja nicht an, das sind nur Momente. Zugleich muss die Frage erlaubt sein, warum heute ausgerechnet Endstation Sehnsucht auf die Bühne muss. Das Uraufführungsjubiläum ist kaum ein Argument. Klar, der Text hat wunderbare Momente, die Übersetzung schien mir sprachlich sehr gelungen. Dennoch … das kann man über sehr viele Stücke sagen. Warum also Tennesse Williams hier und heute und so und nicht anders? Wer wäre Stan heute, im New Orleans nach "Catrina", oder in Essen zwischen Loveparade und Kulturhauptsatdt 2010? Ist Blanche die letzte Bildungsbürgerin?
Ich weiß es nicht.Wie würde es heute aussehen, zwei Kulturen so aufeinanderknallen zu lassen wie Stan und Blanche? Wer wären sie, wo kämen sie her, wo würde das alles enden? Wäre es überhaupt ein Drama? Wäre es eine Farce? Comedy? Ich hab keine Ahnung. Aber Lust drüber nachzudenken hab ich schon.
Ich sag ja, lassen Sie sich von mir nicht abhalten. Schaun Sie sich das Stück an. Und wenn Ihnen dann Antworten auf meine Fragen einfallen, immer her damit …

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