Mein erstes "Schriftstück" war eine Art Comic-Brief an meine Mutter. Ich war vier, sie hielt Mittagsschlaf, ich wollte spielen und sie weder wecken noch durch sang- und klangloses Verschwinden beunruhigen. "Schreiben" fing also ganz praktisch an. Die ersten Erzählungen dagegen …
Das waren ganz andere Geschichten. Vor allen Dingen waren es Geschichten. Horrorgeschichten aus dem Stehgreif entwickelt und erzählt. Meist, weil mein Publikum – meine Schwester, meine Spielkameraden, später Freunde & Bekannte – danach fragten, genau das von mir wollten. Das Fabulieren, das Geschichtenerfinden fing für mich rein mündlich und vor Publikum an, hatte so rein gar nichts mit der sprichwörtlichen Autoreneinsamkeit am Schreibtisch zu tun.
Heute werden meine Geschichten von mir meist allein zur Welt gebracht. D.h. ich bin beides, Erzähler und Zuhörer, Autor und erster Leser.
Und doch vermisse ich manchmal die spontane, mündliche Form des Geschichtenerfindens. So unmittelbar aus der Situation heraus zu erzählen, das ist etwas ganz besonderes. Da entstehen die Geschichten wirklich im direkten Zusammenspiel zwischen Erzähler und Publikum. Man spürt die Reaktion, den Schauder, die Spannung, den Ekel, die Erleichterung, die Überraschung. Jede kleine Gefühlsregung der Zuhörer ist da, deutet auf deren Bilder im Kopf, die meine Worte jetzt und hier erzeugen. Und das wiederum ist höchst spannend für den Erzählenden … so nah, so direkt dran am Gefühlshaushalt einer anderen Person ist man sonst selten (und noch seltener gleich mit versammelten Publikum drumherum ;-)).
Passenderweise hab ich mich später im Studium – Literatur- und Filmwissenschaften übrigens – auf die Erzählforschung gestürzt, weil ich da den Eindruck hatte, sie könnte mir helfen, die für mich interessanteste Frage an Kunstwerke jeder Art zu beantworten: Wie schafft es eine Geschichte, ein Film, ein Theaterstück, Musik oder auch ein Gemälde, dass ich als Rezipient nicht nur etwas sondern sogar etwas bestimmtes fühle?
Okay, ich habe keine eindeutigen Antworten aus der Wissenschaft bekommen. Und das Erzählen, das sich nun ja schriftlich vollzieht, plan ich auch nicht nach wissenschaftlichen oder anderen "rationalen" Kriterien. Tja, ist Erzählen nun gleich Schreiben bzw. wie groß ist die "Schnittmenge" zwischen beidem? Und womit hat es für mich denn nun angefangen? Henne oder Ei, Ei oder Henne, was war zuerst da?
Einer Familienlegende zufolge habe ich bereits erzählt, bevor ich der Sprache mächtig war. Angeblich hab ich als brabbelndes Baby Unterhaltungen mit verschiedenen Stimmen nachgeahmt und mich köstlich dabei amüsiert. Vorzugsweise übrigens mitten in der Nacht.
Damit ist mindestens zweierlei sicher: Frühaufsteher war ich noch nie. Und am Anfang stand doch weder das Wort noch die Schrift, sondern, wie könnte es anders sein, so etwas wie Mischas erzählendes/plapperndes Stimmengewirr … ;-))
Schreiben = Erzählen?
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