Über diese Frage wollte ich gestern Abend schon schreiben. Aber dann kamen mir ein zickender DSL-Zugang und eine Migräne dazwischen, so dass ich gerade mal die neue Kategorie "Schreibkram" einrichten konnte.
Erzählt da ein "ich"? Denkt dort eine "sie"? Spricht hier ein "er"? Oder ist es doch so etwas wie ein gottgleiches Wesen, das die Geschichte vor uns als Leser ausbreitet? Beziehungsweise welche dieser Masken und vor allem dieser Perspektiven, dieser Blickwinkel liegt mir wann, wo, warum am nächsten?
Die entsprechende Diskussion im Syndikatsforum brachte mich ebenso auf das Thema wie der Roman von Arne Dahl, den ich grad heute früh ausgelesen hab. Rosenrot ist spannend, keine Frage, und ich will auch gar nicht anfangen zu mäkeln von wegen "verrückte Serientäter" bzw. ein "Bulle auf experimentellen Antialkoholismusdrogen als bibelfester Wiederholungstäter mit schon fast lauteren Absichten". Worum’s geht, ist ja die Erzähperspektive.
Vermutlich wird eine Mehrzahl der modernen Kriminalromane in mehr oder weniger ausgeprägter personaler Form erzählt – sprich: da erzählt eine Sie oder ein Er, und wir erleben die Geschichte so, wie sie sich für diese Figur entwickelt. Meist ist das ja in der einen oder anderen Form ein Ermittler, so dass manche Geschichte ganz an dieser Person orientiert erzählt wird (z.B. Silvia Kaffkes Barbara-Pross-Reihe), andere zwischen verschiedenen Ermittlern wechseln (z.B. Horst Eckerts Polizeiromane) und bei wieder anderen zwischen einem Ermittler und dem Täter (das passiert im Thriller wohl noch häufiger als im Krimi – und doch, Maeve Carels spielt auf ihre unnachahmliche Art auch dieses Spiel sehr fesselnd) als personalem Erzähler gewechselt wird.
Nun bedeutet personales Erzählen, dass man an die Sicht der einen oder auch der diversen gewählten Figuren gebunden ist. Daraus lässt sich Spannung ziehen, und es ist, wie so viele formale "Grenzen" etwas, an dem man sich wunderbar reiben und woraus so sogar Kunst entstehen kann (allein deshalb, wegen der stärkeren Formalisierung, war die Lyrik ja viel früher als Kunstform anerkannt als die ursprünglich als geradezu banal verschrieene Prosa). Spannung entsteht aus Nichtwissen bzw. Nichtmehrwissen als die Figur. Aber manchmal wäre es natürlich auch schön, man wüsste mehr, man könnte vorgreifen – beim Schreiben kann man damit interessante Brechungen schaffen und als Leser kann man mich mit irgendwelchen Vorwarnungen durchaus gespannt machen …
Okay eine Methode dafür ist der Ich-Erzähler. Der ist zwar auch einerseits personal und bleibt meist für sich (außer, wenn er oder sie in meine Finger gerät ;-)), d.h. es wird aus Sicht dieser einen Figur erzählt. Aber zugleich bedeutet das, dass der Ich-Erzähler gewissermaßen doppelt vorhanden ist: nämlich als erlebendes Ich, also als Figur, die die Geschichte erlebt, die hier erzählt wird, und als erzählendes Ich, das genau diese Geschichte nun rückblickend erzählt. Und in diesem Rückblick liegt die Möglichkeit des Vorgriffs, der Vorwarnung, und der doppelten Reflektion: Der Ich-Erzähler kann uns nicht nur Einblick geben in sein Denken und Fühlen im Moment der Handlung, er kann darüber auch aus dem zeitlichen Abstand des Erzählers berichten, sinnieren, grübeln, etc. Und ich als Autor habe die Wahl, bleibe ich im Jetzt der Handlung wie beim personalen Erzählen, nur halt Dank der ersten Person noch näher dran am subjektiven Erleben, oder benutze ich ab und an oder auch häufiger das Moment des zeitlich versetzten und die gesamte Geschichte überblickenden Erzählers?
Wer Stimmengewirr oder auch Der Tod ist ein langer, trüber Fluss kennt weiß, dass ich gerne mit Ich-Erzählern arbeite. Bei den Kurzgeschichten sieht es gemischter aus, aber mein Hang zum Erzählen aus der Figur heraus ist unbestreitbar. Das ist das reizvolle für mich: Mich in eine von mir geschaffene (oder gerade noch zu schaffende) Figur so weit hineinzubegeben, dass ich aus ihr heraus eine Geschichte und entwickeln und erzählen kann, die mir, der Autorin, so, nie passieren würde. Weil ich eben eine ganz andere bin. Für mich ist diese Wahl der Erzählperspektive auch ein Stück weit die Eintrittskarte in eine fremde Welt gesehen durch fremde Augen. Und ich liebe auch so manchen Ich-Erzähler, mit dem meine Kollegen mich in ihre fremden Welten locken … ob es nun Polizeiarbeit plus Döner & Bier & Männergedanken bei Norbert Horst ist oder Vachss mich in Burkes Kopf (oder dem des Killers in Shella …) reisen lässt.
Die dritte Form des Erzählens, die auktoriale Perspektive, dagegen, ist nicht mein Ding und ich finde sie auch für einen Krimi nicht besonders geeignet. Oder sagen wir so rum: Ich würde gerne von Krimis erfahren, Krimis lesen, die ausschließlich aus dieser Perspektive zu erzählen sind. Bei Arne Dahl ist diese Notwendigkeit jedenfalls für Rosenrot nicht gegeben. Diese Geschichte lässt sich mit einer Handvoll personaler Erzähler aus Polizeibeständen realisieren. Warum er zwischendrin darauf besteht, plötzlich geradezu manisch darauf hinzuweisen, dass die Figur dieses oder jenes eine Minute später ganz anders sehen würde, das jetzt aber noch nicht wusste oder aber plötzlich in einer einzigen Passage zwei Gewitterwolken zu Erzählern macht – warum er also diese auktorialen Anwandlungen bekommt, ist mir schleierhaft. Das braucht es nicht. Klar, eine Geschichte erzählt aus Sicht von Gewitterwolken und anderem Nichtmenschlichen hätte ihren Reiz. Allein schon als Motiv benutzt und (wie die Wellen in Virginia Woolfs völlig unkriminalistischen Roman The Waves) gegen eine wie auch immer geartetete Erzählung gesetzt, das hat schon was. Aber bei Arne Dahl bleibt das inkonsequent und es irritiert: z.B. wenn er erst zwei wütende Ermittler durch ein ganzes Kapitel hinweg als Gewitterwolken bezeichnet, um das nächste Kapitel dann an der Sicht tatsächlicher meteorologischer Phänomene (= Gewitterwolken) orientiert zu erzählen. So etwas ist Unsinn bzw. schlicht maniriert. Ich brauch das nicht, und es ist schade bei einem Buch, was ansonsten in vielem überraschend spannend war.
Aber auch das mag eine Frage der Perspektive sein, die andere Leser ganz anders für sich beantworten … und ich werde vermutlich noch verschiedentlich, aus diversen Blickwinkeln, auf solche Fragen zurückkommen, hier in meiner neuen Kategorie "Schreibkram".
Alles eine Frage der Perspektive?
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