Verstörende Suche nach sich selbst

Theater ? Die Uraufführung von Mischa Bachs Stück »Die Türen« in der Tonne wurde mit Applaus aufgenommen

von Monique Cantré, erschienen im Reutlinger Generalanzeiger am 10. März 2007

 REUTLINGEN. Stilisierte Blümchentapete und Einblicke in drei Räume, in denen sich jeweils eine Person aufhält, empfangen den Besucher im Tonnekeller. Die Türen sind offen, zeigen, was sonst verborgen ist: Mischa Bachs Stück »Die Türen « will dem medizinischen Befund »dissoziative Identitätsstörung« ein Gesicht geben. Am Beispiel einer jungen Frau, die peu à peu entdeckt, was mit ihr nicht stimmt, visualisiert die Autorin die Vorgänge in deren Gehirn. Die verschiedenen Identitäten, aus denen sich ihre multiple Persönlichkeit zusammensetzt, nehmen auf der Bühne Gestalt an und leben als Theaterfiguren in einer gemeinsamen Wohnung.

Wie kamen Kondome in Pens Handtasche, wodurch erlitt sie einen verstauchten Fuß, wer hat im Wagen ihres Freundes Mark ins Lenkrad gegriffen? »Mir fehlt oft ein Stück«, klagt sie. Die anderen Mitbewohner haben bereits erkannt, dass sie sich zusammen mit Pen einen Körper teilen. Immer wenn sie agierten und sich dabei vor Pen schoben, geschahen die Dinge, die sie sich später nicht erklären kann. Sie glaubt ob ihrer »Filmrisse «, dass sie verrückt wird. Tief bohrt sich die Angst in sie, sodass sie keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich umzubringen. Nadine Bohse gibt dieser verzweifelten Pen anrührend Profil.

Ihr Suizidversuch schreckt die anderen Persönlichkeiten auf, denn sie wollen keinesfalls sterben. Als da sind: das Mädchen Tess (glaubwürdig kindlich: Christiane Schoon) und die kleine Lea, die man nur weinen hört, die toughe 20- jährige Nessa (Galina Freund) und der Mann Silas (Silvan Kappeler).

Trauma als Auslöser
Alle Namen sind aus dem Namen Penthesilea geschöpft. So hieß das Kind, das ganz früh seine Eltern verlor und dann vom Onkel missbraucht wurde. Dieses Trauma war der Auslöser für die Ausbildung der multiplen Persönlichkeit: »Die Qual wurde aufgeteilt auf viele«, heißt es im Stück, das mit der Entdeckung dieses Geheimnisses nicht auftrumpft. Es klagt in der Inszenierung von Katja Lillih Leinenweber eher gedämpft an und richtet den Blick auf die pragmatische Frage, wie man mit einer dissoziativen Identitätsstörung leben kann. »Was spricht gegen eine Fünfer-WG?«, wird rhetorisch gefragt. Es gilt, die anderen im Kopf zu akzeptieren ? und ihre Vorzüge zu nutzen.

So nachvollziehbar das entworfene Muster einer Gruppe von unterschiedlichen Identitäten in einem Menschen erscheint, so kompliziert ist dennoch das Theaterstück, selbst wenn man vorher weiß, was dargestellt werden soll. Pens Suche nach ihren unerklärlichen Aussetzern und ihr Leiden an Minderwertigkeitsgefühlen ist ebenso verstörend wie anstrengend. Ständig ist man bemüht, die Rätsel einzuordnen. Schließlich kommt das Stück auch nicht umhin, fachlich zu belehren, der Art: Schizophrenie ist etwas ganz anderes!

In der Regie von Katja Lillih Leinenweber und auch in der Ausstattung von Helga Göllner zeigen sich zwei sehenswert neue Handschriften in der Tonne. Besonders aufmerken lässt die genaue und ungekünstelte Charkterisierung der typmäßig sehr unterschiedlichen Figuren.

Da hat eine Regisseurin mit wachem Blick auf die Wirklichkeit gearbeitet. Nach der Premiere am Donnerstagabend gab es für die Uraufführung anhaltenden Applaus.

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