So lautet die Überschrift im Generalanzeiger Reutlingens, mit der die Uraufführung der Türen im Theater Die Tonne angekündigt wird.
VOR DER PREMIERE Mischa Bachs Auftragswerk »Die Türen« über multiple Persönlichkeit wird in der Tonne uraufgeführt
Eine Großfamilie in einem Kopf
REUTLINGEN. Als »etwas ganz Besonderes« kündigt Dramaturgin Linda Kreissle die Premiere von Mischa Bachs Schauspiel »Die Türen« am morgigen Donnerstag um 20 Uhr an. Nach dem Jugendstück »Das 13. Opfer« (zusammen mit Jörg Schade und Pliezhäuser Schülern) ist es das zweite Bühnenwerk der promovierten Filmwissenschaftlerin und Autorin, das im Auftrag der Tonne entstand und hier uraufgeführt wird. In beiden Stücken geht es um Gewalt, doch höchst unterschiedlich.
»Die Türen« schrieb Mischa Bach parallel zu ihrem Buch »Stimmengewirr«, um, wie sie sagt, »das Thema visuell zu machen«. Es geht um das Phänomen der multiplen Persönlichkeit, das den modernen Erkenntnissen der Medizin zufolge durch Gewalt, meist sexuelle Gewalt, im frühkindlichen Alter hervorgerufen wird. Um das Trauma der Todesangst durch den Übergriff zu bewältigen, flüchtet sich das kindliche Gehirn, das noch kein eigenes Ich gefestigt hat, in diverse andere »Figuren«. »Das ist ein Überlebensmechanismus«, sagt Mischa Bach, dissoziative Identitätsstörung nennt es heute die Psychiatrie. »Diese Art von Gewalt passiert nur, weil keiner richtig hinschaut«, beklagt die Autorin.
Kein Aufklärungstheater
Für die Inszenierung brachte sie aus Essen die junge Regisseurin Katja Lillih Leinenweber mit, die von dem Stück nach dem ersten Lesen sofort begeistert war. »Wir machen kein Aufklärungstheater, was multiple Persönlichkeiten sind«, wehrt sie ab – obgleich darüber ein enormer Aufklärungsbedarf besteht.
Vielmehr verfolgt der Zuschauer, wie sich die Hauptfigur Penthesilea, eine Frau Anfang dreißig, ihrer psychischen Situation bewusst wird, dass nämlich noch fünf weitere Persönlichkeiten in ihrem Körper leben, und wie sich die Puzzleteile für den Grund dieses Zustands zusammenfügen. Das gleicht einer Ermittlung in einem Kriminalfall. »Es ist wie eine Großfamilie in einem Kopf«, beschreibt Katja Lillih Leineweber die Situation, deren Mitglieder sich auf der Bühne von Helga Göllner in verschiedene Räume aufteilen.
Ausgangspunkt des Dramas ist ein Selbstmordversuch von Pen (Nadine Bohse), der depressiven Teil-Persönlichkeit. Und gegen den wehren sich die anderen Persönlichkeiten, denn sie wollen nicht sterben: Nessa, die Zwanzigjährige (Galina Freund), der Mann Silas (Silvan Kappeler) und die Kinder (Christiane Schoon). Pen erkennt, warum ihr Dasein ständige Filmrisse aufwies, weil nämlich dann immer eine andere Persönlichkeit agierte. Christiane Schoon findet im Programmheft die griffige Formel: »Wir alle sind zusammen in einem Boot, auf dem wir alle Kapitän sind.«
Nach der morgigen Premiere werden »Die Türen« bis 8. April noch 13 Mal aufgeführt. (can)