Die etwas andere Wohngemeinschaft

Nachlese muss nicht immer Autorensache sein. In Reutlingen waren schließlich auch zwei Journalistinnen dabei. Deren Fotos der Veranstaltung hab ich leider nicht zur Hand, doch Kathrin Kipps Gedanken zum "Stimmengewirr" und dem Thema Multiple Persönlichkeiten können auch für sich stehen, finde ich.

Artikel vom 03.02.2007 aus SÜDWEST AKTIV

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LESUNG / In der Reutlinger Thalia-Buchhandlung

Die etwas andere Wohngemeinschaft

Mischa Bach liest aus ihrem Krimi "Stimmengewirr" – Ihr Tonne-Theaterstück "Die Türen" hat am 8. März Premiere

Sie heißen Tom, Joe, Josephine und Anna, haben sehr unterschiedliche Charaktere, bewohnen aber einen einzigen Körper – den von Cäcilia: Mischa Bachs Krimi "Stimmengewirr" handelt von einer multiplen Persönlichkeit.
Die Autorin las jetzt in der Thalia-Buchhandlung.

KATHRIN KIPP

REUTLINGEN

Mit ihrem gemeinsam mit Schülern entwickelten Jugendstück "Das 13. Opfer" war Mischa Bach schon einmal als Autorin für das Tonne-Theater aktiv. Derzeit laufen die Proben an für das zweite Tonne-Stück der promovierten Filmwissenschaftlerin, Autorin, Drehbuchschreiberin und Dramatikerin, Jahrgang 1966. "Die Türen" heißt es und handelt von einer multiplen Persönlichkeit, genauso wie Mischa Bachs Krimi "Stimmengewirr", den sie nun bei Thalia präsentierte.

Beide Schreibwerke haben zwar dasselbe Thema und sind auch gleichzeitig entstanden, erzählen aber zwei völlig unterschiedliche Geschichten, sagt Bach: Der in über zehn Jahren entstandene Krimi begann – ähnlich wie seine Protagonistin – ebenfalls als mehrteiliges "Stückwerk" sein Leben:
Aufgeteilt in zwei verschiedene Kurzgeschichten wartete er in ihrer Schublade, während sie andererseits das Thema schon jahrelang mit sich herumgeschleppt, aber erst nachträglich den beiden Hauptfiguren zugeführt habe. Die eine, Cäcilia, ist Jurastudentin und zieht ihrem zudringlichen Professor mit einer chinesischen Vase eins über, in der zufällig 30.000 Euro versteckt sind. Cäcilia ergreift die Möglichkeit und macht sich in einem neuen Leben auf die Suche nach ihrer Vergangenheit. Eine große Rolle spielt dabei ihr Halbbruder Mike. Cäcilia ist eine multiple
Persönlichkeit, die, wie viele andere Betroffene, in frühester Kindheit so schwer traumatisiert wurden, dass sie sich, "weil sie nicht abhauen können", so Bach, "in mehrere Persönlichkeiten aufteilen", um überleben zu können. Diese Aufspaltung sei "mit einer jeweiligen Amnesie verbunden", erklärt die Autorin, "sonst bringt das ja nichts". Die jeweiligen Persönlichkeiten unterscheiden sich in Geschlecht und Alter, steigen mal mehr, mal weniger ins Bewusstsein ein, können sich jeweils nur bruchstückhaft an das Geschehene erinnern und sprechen im Kopf als verschiedene Stimmen.

Erst nach und nach wird sich die betroffene Person ihrer Mehrfachheit bewusst. Das sei wie in einem Auto voller Leute, erklärt Bach: Einer steuert, der Beifahrer gibt Kommandos, hinten streiten sich zwei über die richtige Route, und einer schläft. Trotzdem sei jede multiple Persönlichkeit natürlich anders gestrickt, weil jeder Betroffene ohne Vorbilder diese Störung "jedes Mal neu erfinden muss".

Multiple Persönlichkeit

Eine knifflige und bislang ziemlich einmalige Ausgangslage also für eine literarische Bearbeitung: Mischa Bach hat sie in einen Krimi gepackt, der nicht ganz einfach zu verdauen ist. Denn bei so vielen Persönlichkeiten und Stimmen ist auch der Lesevorgang an sich nicht ganz unverzwickt: In "Stimmengewirr" treten nicht nur beide Hauptfiguren als Ich-Erzähler in Aktion, sondern auch alle WG-Bewohner in Cäcilias Körper sprechen als eigenständige Ich-Erzähler, mit völlig unterschiedlichen Charakteren, aber
auch unterschiedlicher Sprache.

Gerne sitzen sie im Café und streiten sich, tauchen plötzlich ab, um genauso unvermittelt wieder aufzutauchen. "Tom" ist dabei für die Erinnerung und Verdrängung zuständig, "Josephine" sorgt für das alltagspraktische Funktionieren und die Präsentation nach außen. Während sich Cäcilias "Wohngemeinschaft" allerdings schon längst ihrer Multi-Identität bewusst ist, befindet sich die Protagonistin im Theaterstück "Die Türen" (Tonne-Uraufführung: 8. März) erst ganz am Anfang dieses schwierigen Prozesses.

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Quelle: http://www.suedwest-aktiv.de/region/reutlingernachrichten/kultur_in_der_region/2671730/artikel.php?SWAID=da03cec4ce5c1ffcf9a273b33cdd4be2

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