Der Sommer kommt und alles strebt ins Freie: Dort kann man sich Corona zum Trotz begegnen und das Leben einfach genießen. Wobei ich ja finde, selbst an den Tagen, an denen ich nicht doppelt sehe, sehen mir die Strandansichten und Urlaubsbilder, die es in die Nachrichten schaffen, mitunter schon arg gedrängt und verdammt voll aus …
Juli
Die letzte Videositzung mit meinen Studierenden, die letzte Dosis Cortison-Stoßtherapie, dann sind Ferien. In Österreich, wo wir im Hotel wohnen, während wir rund um Wien die Schwiegerfamilie besuchen, herrscht Maskenpflicht nur in Apotheken und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens, das fühlt sich seltsam an. Genau wie meine anhaltende Erschöpfung: um 22 Uhr will ich nur noch ins Bett, um wenigstens noch etwas zu lesen (u.a. Siri Hustvedts Debütroman „The Blindfold“), und eine halbe, spätestens eine ganze Stunde danach ist es, als knipse mich eine höhere Macht aus. Aber wer so früh einschläft, der wacht meist auch früh auf – was im Urlaub ungeahnte Vorteile hat. Das merken wir vor allem in der Woche, die wir anschließend bei Regensburg verbringen: Wir sind so früh unterwegs, dass wir bei unseren Ausflügen die Sehenswürdigkeiten mehr oder minder für uns haben. Die Massen kommen uns stets erst entgegen, wenn wir uns auf den Heimweg begeben. Das hat was. 🙂
Allerdings sind manche Orte so überlaufen, als gäbe es kein Corona. Die Biergärten in Bayern lassen wir jedenfalls ob des Gedränges links liegen – und das, obwohl sie im Vergleich mit Strandansichten in den Abendnachrichten noch recht ‚geräumig‘ wirken. Beim Besuch bei meinen Eltern im Rheinland bleiben wir einfach alle zusammen im Garten und genießen die gute Luft 🙂
August
Was kommt nach den großen Ferien? Was wird aus den Schulen (und meinen, unseren Schulworkshops), wie geht es im Theater weiter? Vorsichtige Normalität, das scheint die Devise.
Im Theater herrscht zwar Kurzarbeit, aber am Monatsende gehen die Proben wieder los. Und die Schulen öffnen nicht nur, wir können sogar unsere Autorenpatenschaft in Geldern angehen. 🙂
In einen Zug zu steigen, mit all den anderen Menschen unterwegs zu sein, fühlt sich allerdings ausgesprochen fremd an und so gönne ich mir im VRR dank Zusatzticket mehr Platz in der 1. Klasse.
In der Don-Bosco-Schule dagegen sind wir mit einem Dutzend Kids und einer Handvoll Erwachsener mit Masken in der Turnhalle – Platz satt, viel Raum, um miteinander kreativ zu sein und Spaß zu haben, ohne einander irgendwie zu gefährden.
September
Der zweite Teil des Workshops in Geldern geht ebenfalls gut über die Bühne. Theoretisch müsste man nun keine Masken mehr im Unterricht tragen, aber wir machen’s trotzdem. Ich freue mich inzwischen sogar auf die Zugfahrten, weil ich zwar dafür früh aufstehen muss, sie aber so wunderbar entspannt Zeit zum Lesen bringen – selbst für richtig dicke Bücher wie „Things in Jars“ von Jess Kidd oder Becky Chambers „Der lange Weg zu einem zornigen Planeten“.
Ein schöner, ruhiger, sommerlicher Monat – logo, nach wie vor mit meinen bizarren Sehstörungen und Maske, Händewaschen, Abstandhalten obendrein – so könnte das Leben weitergehen. Allerdings ist zugleich doch klar, wir sind noch weit entfernt davon, dass alles wieder ‚normal‘ wäre. Größere Feiern werden wiederholt zu Superspreaderereignissen, wie das jetzt neudeutsch heißt. Warum man ausgerechnet jetzt Hochzeiten mit 50, 100 oder mehr Gästen feiern ‚muss‘, erschließt sich mir nicht. Meine Schwester hat die Feier zu ihrem 50. Geburtstag jedenfalls schon längst abgesagt, und wir alle hoffen, das holen wir dann halt im nächsten Jahr nach. Was muss, das muss – und es hat aus meiner Sicht nebenbei den Vorteil, dass ich dann vielleicht schon wieder normal sehe und sogar jeden Tag gleich aussehe, mir aber die Augen nicht mehr so arg früh zufallen. 😉