Doppelt und vielfach

Jetzt ist es draußen wieder ganz still. So still halt, wie es in einer Dachwohnung mitten in einer deutschen Großstadt in Corona-Zeiten sein kann – Verkehr rauscht mehr oder minder in der Ferne, und aus den Gärten im Innenhof sind die Vögel zu hören. Die Dachdecker haben längst Feierabend und wir haben unsere erste Woche mit ihnen hinter uns. Zwei Tage ohne sie auf unserem Dach liegen nun vor uns – was für ein seltsamer Gedanke! Denn auch in Sachen Dacherneuerung gilt: alles kommt stets ganz anders, als man denkt oder auch befürchtet. Während manch ein Fensterheini, der nur ein Flurfenster austauscht, ein Gefühl des Belagertwerdens, ja einer feindlichen Übernahme erzeugen kann, stören diese Dachdecker überraschenderweise praktisch gar nicht.

Natürlich ist es für uns Dachbewohner vollkommen ungewohnt, wenn Menschen nach einer Unterhaltung auf dem Balkon einfach über die Brüstung steigen und hinunterklettern oder dass jemand durchs Fenster hereinschauen kann. Was „unsere“ Dachdecker jedoch nur tun, wenn sie Kontakt zu uns aufnehmen wollen, um eine Frage zu klären oder die Kiste mit dem Kaffeezeugs wieder hereinzureichen. Sie versuchen, uns möglichst wenig in unserer Privatsphäre zu stören und wir lassen sie in Ruhe ihre Arbeit machen.

Und die macht bisher jedenfalls sehr viel weniger Lärm und Dreck, als befürchtet. Dachabdecken, Folien und Dämmung einziehen, Auflatten – von innen hörte sich das für mich so an, als sei ich auf einem Großsegler unterwegs. Da hämmert und macht und tut und repariert ja auch dauernd irgendwer, eigentlich sind Schiffe, gerade die hölzernen, ja ein Stück weit schwimmende Reparaturprojekte. Ganz schön verrückt – als kleines Mädchen wollte ich immer Kapitänin auf einem Drei- oder Viermaster werden, und nun erinnert mich ausgerechnet die Großbaustelle Dacherneuerung an diesen Kindheitstraum!

Okay, nächste Woche soll es wohl auch lauter werden, wenn Kehlbleche und andere Teile zugeschnitten werden müssen. Aber erstens hat die Gruga ja wieder geöffnet, so dass ich zur Not ausweichen kann und zweitens habe ich an jedem Wochentag eh wieder einen Arzttermin. Und das wird die nächsten Wochen so bleiben, denn für mein Auge bzw. gegen die Entzündung des Augenmuskels aufgrund des Schubs meiner endokrinen Orbitopathie bekomme ich nun parallel zur Kortison-Stoßtherapie Bestrahlung. Am Dienstag soll die Maske dafür angepasst werden und ich frage mich, wie sich das wohl anfühlen wird. Angeblich soll die Bestrahlung weniger Nach- und Nebenwirkungen haben als das hochdosierte Kortison. Das gibt stets einen derartigen Energieschub, dass ich am Morgen danach mit einem heißen Gesicht aufwache und den ganzen Tag als Rotbäckchen auf Speed durchs Leben eile. Echte Doping also, allerdings nicht zwangsläufig auch in geistiger Hinsicht, weil ich zumindest von soviel Energie eher hibbelig denn konzentriert werde.

Das merkt man dann auch diesem Text an: lang, laberig, ein bisschen aus der Form geraten. Aber wie soll ich denn fokussiert sein, wenn ich schon seit drei Tagen die Doppelbilder nicht mehr ganz loswerde und seit zwei Tagen Energie für fünf habe? Doppelt und vielfach eben – und jetzt, in der Stille nach den Dachdeckern, vor dem Wochenende hoffe ich, diese Ruhe überträgt sich alsbald auch auf mich … gern doppelt und vielfach. Ommmm …. 🙂

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