Kerzenzauber

— so lautet der Titel meines Beitrags in „Zechen, Zoff und Zuckerwerk„. Meine neueste kriminellen Weihnachtsgeschichte spielt in der Essener Gruga, also praktisch „bei mir umme Ecke“. Wenn Sie wissen wollen, wie es da aussieht und wie gefährlich Weihnachtsausstellungen mit Bürgerbeteiligung sein können, selbst wenn es eigentlich nur um einen guten Zweck geht, ist die Leseprobe daraus genau das Richtige für Sie:

Mischa Bach

Kerzenzauber

»Sprengstoff!«, gellte die Frauenstimme durch die Orangerie der Gruga, durchschnitt gemurmelte Gespräche und leise Weihnachtsweisen, ließ Engelshaar, Weihnachtskugeln und -sterne erzittern und Köpfe herumfahren. Der Auktionator erstarrte, nur einzelne Fasern seines falschen Rauschebartes bebten noch. Seine als Weihnachtsfrau verkleidete Assistentin riss Augen auf und Arme hoch. Und Tim stand da, Opas Bergmann in der einen, Omas Engel in der anderen Hand, die er eben an die Weihnachtsfrau hatte weiterreichen wollen, und wusste nicht, wie oder was. Und schon gar nicht, warum ein paar Schritte entfernt die Frau mit dem blonden Bubikopf ihren seltsamen Apparat auf seine Weihnachtsfiguren richtete und nun ein weiteres Mal »Sprengstoff!« ausrief.

Tim presste die Holzfiguren mit ihren Bienenwachskerzen, die er zu Ehren seiner park- und weihnachtsliebenden Großeltern zur Benefiz-Auktion gebracht hatte, fest an sich, um sie vor der Verrückten zu schützen. Zumindest war das sein Plan in diesem Moment, der wie in einer Glaskugel erstarrt war. Doch dann schoss dieser Schatten auf ihn zu, riss ihn um und begrub ihn unter sich. Tims Hinterkopf traf hart auf dem Boden auf, es knackte ein, nein, zwei Mal, und es wurde dunkel um ihn.

»Das war eine Glanzleistung«, sagte der Polizeipräsident und beugte sich vor, um KHK Krämer, der auf der Liege im Rettungswagen saß, auf die unverletzte Schulter zu klopfen, »einfach heldenhaft.«

Krämer lächelte gequält. Gerade rechtzeitig, hob doch in diesem Augenblick Karsunke seine Kamera und drückte ab. Dem kleinen, grauhaarigen Fotografen entkam dieser Tage im Park niemand. Der Pressesprecher, der zusammen mit dem Chef anscheinend aus dem Präsidium in die Gruga gebeamt worden war, zückte sein Smartphone.

»Nichts da, Platz da!«, rief der Arzt und bahnte sich den Weg, indem er die Kunststoffarmschiene schwenkte wie Moses den Stab, um das Rote Meer

Vielleicht habe ich doch was am Kopf abbekommen, dachte

KHK Krämer ob dieser seltsamen Assoziation.

»Ich muss das Lagezentrum braucht mich.« Der Chef hob die Hand zu einem schlaffen Winken, drehte sich um, stieg über das Absperrband, das den Platz rund um die Orangerie zur Sperrzone machte, tätschelte im Vorbeigehen der Tänzerin aus Bronze den Arm und stapfte über wintermatschiges Gras zu dem grauen Zelt, das man eilends auf der Kranichwiese errichtet hatte. Der Pressesprecher stolperte hinterher.

Der Fotograf war längst verschwunden. Vermutlich irgendwo inmitten der Menschen, die eben noch in der »Winterzauber«-Ausstellung im Auktionsfieber vereint gewesen waren und die jetzt auf dem Kopfsteinpflasterplatz zwischen gesperrtem Parkeingang und Grugabahnsteig zusammengedrängt herumstanden. Uniformierte nahmen ihre Personalien auf und versuchten, den Hergang der Ereignisse zu rekonstruieren. Und immer wieder wanderten die Blicke der Befragten wie der Befragenden hinüber zur Orangerie.

Als wäre nichts geschehen, präsentierten dort mit Tannenzweiggirlanden umwundene Regale alles, was das Weihnachtsherz begehrte: alte Plätzchen und Kuchenformen, Weihnachtstassen, -teller, -kränze, Nikoläuse und Engel, Kerzenhalter, darunter auch ein Chanukka-Leuchter, Weihnachtskugeln, Sterne und Eiszapfen, Weihnachtspyramiden, Krippen, Barbarafiguren und natürlich Bergmannsfiguren in zig Variationen. So viele Weihnachtsschätze hatten die Essener in die Ausstellung getragen, dass man zu den Räumlichkeiten des Info-Centers Teile das Restaurants am anderen Ende der Orangerie hatte mit hinzunehmen müssen erst recht, wo nicht jedes gute Stück, mit dem die Bürger einander zeigten, welche Traditionen sie im Advent pflegten, automatisch an der Auktion für den wohltätigen Zweck teilnahm. Jetzt waren in der Orangerie nur noch Sprengstoffspezialisten zugelassen, und die hatten rund um den Auktionstisch mit den potenziell explosiven Figuren Stellwände als Splitter- und Sichtschutz hochgezogen.

KHK Krämer füllte derweil mit dem Arzt die Formulare zur Meldung eines Dienstunfalles aus. Der Chef hatte darauf bestanden, obwohl Krämer streng genommen privat in der Gruga war. Seine Schwiegermutter hatte sich gleich drei Mal die »Winterzauber«-Ausstellung angeschaut, die der umtriebige Schöngeist Professor Zündler organisiert hatte, um die Essener Bürger im Advent zusammenzubringen und mithilfe der Kultur den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

(…)

aus: Kerzenzauber.

In: Zechen, Zoff und Zuckerwerk

EAN: 9783954751815
ISBN: 395475181X
Libri: 2038430
Kriminelle Weihnachtsgeschichten aus dem Ruhrgebiet.
Herausgegeben von Almuth Heuner
Prolibris Verlag
Oktober 2018 – 196 Seiten

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