Ein ehrenwertes Haus

Böse Zungen behaupten, abgesehen von den netten Menschen vom Finanzamt entkäme man zwei weiteren Arten von Zeitgenossen praktisch nie: Nachbarn und Hausmeistern. Dabei können Nachbarn doch etwas so Wunderbares sein, erst recht, wenn sie hilfsbereit mit anpacken … außer natürlich, es handelt sich beim Nachbarn ausgerechnet um diesen Hausmeister, dann hilft am Ende nur noch (kurz)kriminelle Energie:

Ein ehrenwertes Haus

von Mischa Bach

Samstag, 10. September 2005

Unübersehbar prangte der Zettel am Schwarzen Brett im Erdgeschoss des dreistöckigen Mietshauses in der Mittleren Mühlengasse 17 nahe des Alten Markts in Uerdingen:

An Alle Mietbewohner des Hauses

Man muß aufmerksam mache, das och am Wochenden die Nachtruhe um 22 Uhr beginnt. Auch muß Schmutz von Wochenendbesuchern vor Wochenbeginn entfernt sein.

Einzig die Unterschrift hatte Hausmeister Waldemar Satonski handschriftlich und damit unleserlich darunter gesetzt. Aber die musste man auch nicht lesen können, denn 99% dieser Machwerke stammten aus seiner Feder.

14 Uhr, Erdgeschoss rechts, Eva Heun-Martens blinkender Bildschirm

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<title> Mehr als Babytalk – Eva’s Webspace für Alleinerziehende und andere gelegentlich genervte Zeitgenossen <title></head>

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<Image = eva.jpg width = 200 height = 400 align = right head = 0,5>

<H1> Der tägliche Wahnsinn – Evas Internettagebuch </H1>

<H2> … immer wieder Samstags </H2>

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Guten Morgen, Ihr Lieben im WWW. Heute hat Waldemar, der Schreckliche, sich selbst übertroffen. Die Kinder sind bei der Oma und ich dachte, ich könnte mal ausschlafen. Aber, nein, um acht Uhr (! unzivilisierte untechnisierte Unholde!) klingelt es an der Tür. Davor – Waldemar, Hausmeister, Zahnbürstenhasser, Technikdummie, Familientyrann und Blockwart in einer Person. Grinst mich an, der Schleimbeutel, hält mir einen weiteren seiner „literarischen Ergüsse“ unter die Nase. Inhalt wie immer belanglos-dumpf, aber die Form, oh Ihr Lieben, die Form! Ihr erinnert Euch – vorgestern noch hatte ich ihn, höflich wie ich nun mal bin, gebeten, seine Zettel, wenn er sie schon nicht lassen kann, dann bitte lesbar zu verfassen. Und hatte dafür den Hohn der Ignoranten geerntet – von wegen, nicht jeder könne sich den Luxus einer Rechnermaschine (sic!) leisten, er als Hausmeister jedenfalls nicht. Heute morgen dann präsentiert er mir seine Lösung: Bildzeitungsbuchstaben mit Pritstift auf Kinderzeichenblock!<br>

Nun ja, ich bin wild entschlossen, mir den Tag nicht versauen zu lassen, nicht von so einem, also, macht’s gut, Ihr Lieben da draussen, bis morgen,

Eure Eva</body></html>

Eva lehnte sich befriedigt zurück. Das Internet nicht nur als Arm, Ohr und Mund hinaus in die Welt, als Verlängerung des Bewusstseins der computer­gebildeten, aber alleinerziehenden Mutter zweier Kinder, sondern vor allem als kathartische Rache der von Hausmeistern geplagten Mieterin – das hatte was. Sie startete das Upload ihres neuesten Tagebucheintrags und be­gann, ihre Sachen zusammen zu sammeln. Die Oma mochte es nicht, wenn man sie mit den lieben Kinderchen warten ließ, jedenfalls nicht, wenn sie wie heute Nachmittag, ausnahmsweise nach „Kriiewel“ zum Seniorentanztee wollte.

Sonntag, 11. September 2005

0.45 Uhr, Erdgeschoss links, Hartmut Zeil

Die Triangel am „Galgen“ über dem Bett schaukelte noch hin und her. Hart­mut hatte sich eben aus dem Rollstuhl aufs nagelneue, behindertenge­rechte Nachtlager gehieft. Seit dem Unfall ging er selten vor Mitternacht schlafen und auch jetzt war er noch nicht müde. Er griff nach dem Kopfhörer und wollte ihn schon in die Anlage neben dem Bett einstöpseln, überlegte es sich aber anders und verkabelte sich stattdessen mit seinem kleinen, komfor­tablen Aufnahmegerät.

Srrrrr surrte es in Hartmuts Hand. Klick.

Türschlagen. Schritte im Hausflur. Klack.

Unverschämtheit!“

Kichern, noch unterdrückt.

Wirklich Mascha, ich wüsste nicht, was an dem schmierigen Typen und seinen Kritzeleien so lustig ist! Als ob wir lauter lau­te Orgien feiern würden.“

Schuldbewusst kicherte auch Hartmut, als er die Stimme von Ellen Trimons auf seinem Band hörte. Erst wollte er es gleich ausschalten, zurückspulen um sein „Gebrabbel eines Krüppels“, wie er es nannte, fortzusetzen. Aber inzwi­schen hörte man Ellens Freundin Mascha:

Mietbewohner, Wochenendbesucher, Hausmeister, hört mich an“ – hier musste sie wieder kichern – „die schmutzigen Lesben zu outen nicht zu preisen –“

Weiter war sie nicht gekommen. An dem Punkt hatte sie Ellen unterbrochen – sie konnte zwar nicht wissen, dass Hartmut gerade sein neues, verbessertes Bandgerät nebst hochempfindlichen Mikro und anderem Schnickschnack testete, aber der Hall des Treppenhauses war tragend, gerade für eine weit tönende Stimme wie Maschas. Und dann hatten die beiden plötzlich an seiner Tür geklingelt …

Srrrrrr. Klack. Das Band war wieder auf Anfang zurückgespult. Hartmut lauschte noch einen Augenblick der Stille des Hauses in der friedlichen uerdinger Altstadt und drückte schließlich auf Aufnahme.

Die 112. einsame Nacht eines Krüppels. Und das alles wegen – nein, nicht wegen des dämlichen Motorradunfalls, irgendwann nutzt sich jede Ausrede ab – das alles wegen zwei wunder­schönen Frauen, einem Hausmeisterzettel und einem neuen Mi­kro.

Ich hab mich gefühlt wie ein ‚kleener Jong‘, der beim Wühlen in Mutters Dessous ertappt wird – bloß, weil ich beim Mikrotest Ellen und Mascha im Hausflur erwischte. Und wie ein kleiner Trottel hab ich mich dann selbst bestraft – dabei wäre ich wirk­lich gerne zu ihrer ‚zwanglosen Feier‘ gegangen.“

Heiseres Lachen wird Husten wird Hüsteln, dann wieder Hart­muts tiefe, ironische Stimme.

Gegangen – klar – der Krüppel hätte die Treppe ja auch hero­isch raufrobben können, wenn der Idiot schon zu blöd ist, sich von zwei jungen Frauen tragen zu lassen … ich kann schon Dr. Gutmanns Stimme hören, wenn ich ihm das erzähle ‚Hartmut, Sie müssen sich selbst gestatten, wieder am Leben teilzuneh­men. Oh Mannn … ich denke, wenn die Küche fertig ist, sollte ich vielleicht doch eine Einweihungs–“

Abrupt stoppte Hartmut seine Aufzeichnungen. Mit lautem Krachen flog die Haustür auf, dann unverständliches, aber eindeutig alkoholisiertes Fluchen. Schwere Schritte auf der Treppe, geräuschvolles Hantieren mit Schlüsseln und Schloss im Stockwerk über ihm. Eine hohe, ängstliche Frauenstimme „Waldemar – wat is denn?“, kreischte sie.

„Haal die Gosch’“ – das war der Hausmeister selbst, dann ein lautes Klatschen, ein Aufschrei der Frau – und mehr Geschrei.

Seufzend griff Hartmut nach dem Kopfhörer und stöpselte ihn in die Anlage neben dem Bett ein. Laute Musik übertönte den Lärm über ihm.

8.15 Uhr, 1. Stock rechts, Hortense Freemer

Hortense war eine rüstige 72jährige, was man angesichts ihrer zierlichen Statur nicht vermutete. Mit Leichtigkeit hob sie den Putzeimer an und leerte ihn in der Toilette aus. Als sie alles in die Besenkammer packte, hörte sie auf dem Flur erst ein Krachen und dann lautes Fluchen. Ganz und gar nicht damenhaft kichernd ging sie ins kleine Wohnzimmer, und nahm den altmodischen Briefblock heraus.

Mein liebster Jost,

heute wärst Du sicher stolz auf Deine Hortense. Zu Lebzeiten hattest Du zwar nichts als Spott für mein weiches Herz und tadelnd-erhobene Augenbrauen für meinen ‚Putzfimmel‘, wie Du es nanntest, aber ich glaube, so schlecht sind diese Eigenschaften nicht.

Ich wußte doch, daß Hausmeister Satonski, sobald er seinen Rausch ausgeschlafen hat, auf der Lauer liegen würde, ob die netten jungen Damen von oben nach ihrer kleinen Feier­stunde jegliche Spuren im Treppenhaus beseitigen würden. Also habe ich in aller Frühe und leise wie ein Mäuschen das Treppenhaus geputzt, mit viel Scheuerseife und Wasser. Ich weiß nicht, ob er gelauscht hat, aber gerade als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, hörte ich Geräusche aus seiner Wohnung, dann das, was ein verkaterter Mensch wohl für leise Schritte halten mag, und schließlich ein Rutschen und Krachen, als er in meine Seifenlache tappte!

Ich weiß, es ist nicht sehr christlich, sich über anderer Menschen Mißgeschicke zu amüsie­ren, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß unser Herr etwas dagegen hätte, diesen scheußlichen Menschen auf den Hosenboden der Tatsachen zurückzuholen. Und Du, lieber Jost, Du kannst mir da jetzt auch nicht mit Deinen Bibelsprüchen reinreden.

Deine Hortense

Zufrieden stand Hortense vom Schreibtisch auf, um sich an die Zubereitung ihres unnachahmlichen, niederrheinischen Sauerbratens zu machen. Selbst, wenn ihre Tochter wohl wieder einmal nicht zum Sonntagsbraten käme, vielleicht würde sich der neue Mieter über Hausmannskost freuen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein junger Mann im Rollstuhl große Lust hätte, selbst lange in der Küche zu hantieren.

Betrifft: Sauberkeit und Ordnung.

1. Seife und Wasser im Übermaas bei Bodenreinigung vermeiden.

2. Jeder macht sein Dreck selbst weg.

3. Autowaschen auch bei Kümmel- und Knofelgestank sonntags verboten.

[…] aus: Tödliche Torten. Süßer Tod am Niederrhein. hrsg.v. Ina Coelen, Leporello 2005.

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