Es ist grau und wattig im Kopf, seltsame Dinge geschehen, und im Hintergrund läuft die Titelmusik von House of Cards. Ziemlich nervig – bis dieses Geklingel mitten hinein fährt, die Traumschleier zerreißt und ich, die Augen aufsperrend begreife: Das ist die Türklingel und ich liege im Bett. Noch, denn das Geklingel hört nicht auf. Ich springe auf, nehme die Ohrstöpsel raus (was soll man machen, wenn die Liebe des Lebens nun mal schnarcht …), stürze zur Tür. Auf dem kurzen Weg dorthin ein Blick auf die Uhr – es ist nicht mal neun Uhr, so früh kam der Paketbote schon lange nicht mehr. Überhaupt – wir hatten doch gar nichts bestellt und für neue Jury-Bücher ist es noch viel zu früh im Jahr.
„Ja bitte?“ frage ich in die Gegensprechanlage hinein.
Nichts. Da war wohl jemand zu ungeduldig, hat gleich bei allen Hausbewohnern geschellt und eine von denen war schneller. Kein Wunder, ich lag um halb vier noch wach, also fast vorhin, gewissermaßen. Im Hausflur wird durcheinander gerufen. Von mehreren Parteien. Was bei einem Vierfamilienhaus schon eher ungewöhnlich ist, jedenfalls um die Zeit. Ich reiße die Tür auf. Höre die Damen aus dem zweiten und dem ersten Stock und eine Männerstimme. Alle scheinen auf dem Weg nach unten – und oh, da liegt ja ein Zettel unter meinem Fußabtreter. Kein Licht lese ich, gleich kein Strom mehr, höre ich von unten.
„Wie bitte? Moment, ich komme!“ Bin immer noch nicht wirklich wach, eile zurück ins Schlafzimmer, greife den Bademantel und eile zurück zur Tür. Stopp, nochmal zurück, barfuß ins Treppenhaus, das wir gelegentlich als Kühlschrankerweiterung nutzen, ist keine gute Idee.
Ein paar Treppen weiter unten treffe ich auf meine Nachbarinnen, die zwar nicht mehr im Pyjama, aber auch noch nicht ausgehfertig unterwegs sind. Eine halbe Treppe unter uns steht ein Mann in Arbeitsklamotten, orange-rot-gelb, er hat einen Schnäuzer, spricht schönstes Ruhrdeutsch und in der Hand hält er etwas, das wie ein überdimensionierter Schraubenzieher aussieht (seltsamerweise im Partnerlook zu seiner Arbeitskluft).
Er erzählt was von einem Bagger und von Stromausfall. Verstehe ich nicht. Bei mir oben war Strom, nix Ausfall, jedenfalls nicht erkennbar. Aber da ist ja der Zettel der Nachbarin aus dem Stockwerk unter mir – von wegen kein Licht – und auch die Bewohnerin des ersten Stocks weiß von gewissen Ausfällen.
Ich bin verwirrt. Begreife aber, ey, der will den Strom abstellen. Ganz. Jetzt. Und zwar für Stunden, mehrere, wie er sagt, während sie „da oben anne Ecke mitm Bagger“ (er malt Bögen in die Luft) nach der Ursache des Problems suchen werden.
„Aber ich arbeite heute von zuhause aus – ich telefoniere“, sagt die Nachbarin aus dem ersten Stock.
„Analoge Telefone gehen ja noch“, sagt er. Lustig. Als ob hier noch jemand sowas hätte. Meine Nachbarin will zurück in die Wohnung, eben noch den Chef anrufen, bevor der Strom weg ist.
„Kann ich noch einen Kaffee kochen?“, frage ich in einem Anflug von entsetztem Erwachen.
„Nee, darauf kann ich nicht warten“, antwortet er und dreht sich um, um wieder zu gehen.
Ich eile rauf. Finde meinen noch gänzlich unbekleideten Liebsten vor, der noch glaubt, es ginge um einen Paketboten mit Problem oder ohne richtige Adresse. Werfe ihm zu, dass wir gleich gar keinen Strom mehr haben, worauf hin er – folgerichtig – zum Wasserkocher stürzt. Kaum ist der eingeschaltet, ist auch schon der Strom weg.
Na toll. Er regt sich auf, das kann doch alles gar nicht sein. Und außerdem braucht er einen Kaffee. Ich auch. So richtig vernünftig erklären, was da gerade passiert ist, kann ich nicht. Jedenfalls nicht so schnell. Mein schlaftrunkenes Hirn tastet sich durch die bizarren Eindrücke der letzten Minuten, während mein Liebster den Campingkocher auspackt, den wir extra für so eine Situation angeschafft haben, und ich im Halbdunkel (Stromausfall gibt es irgendwie immer nur abends oder an dunkelgrauen Tagen, will mir scheinen) der Küchenunterschränke nach den Gaskartuschen fahnde.
Nach mehreren Anläufen, einigen Flüchen, und, okay, wenn’s denn unbedingt sein muss, einem Blick in die Bedienungsanleitung funktioniert das Ding. Einwandfrei, um nicht zu sagen: wunderbar. Heißer Kaffee, wenn die halbe Straße gerade keinen Strom hat, ist doppelt so schön. Auf damit ins Arbeitszimmer – nach oben, zum Licht. Wo es, zugegebenermaßen, noch recht frisch ist – so ungefähr 17 Grad. Aber mit einem Heißgetränk (plötzlich ist das ein schönes Wort, ja, unser beider Lieblingswort des Tages ;-)) und einer Decke ist das okay. Zumal es hier oben hell genug zum lesen ist – und das Wissen, sollte es heute doch noch richtig kalt werden, haben wir unten unseren Kaminofen, ist obendrein herzerwärmend (pun intended ;-)).
Dazu kam es dann aber doch nicht. Nachdem wir zusammen Bäckerei und Bauhaus unsicher gemacht hatten und mit Süßkram (passend zum Kaffee bzw. zum Tee, aber eben dem wunderbaren, weil heißem Getränk … ;-)) und akkubetriebener LED-Lampe (ist ja im Sommer auf dem Balkon vielleicht auch ganz nett, wenn man mal länger draußen lesen will), hatten sie „umme Ecke“ angeblich schon den Fehler gefunden: Irgendwie sei Nässe ins Erdkabel gedrungen, hieß es. Aber als wir nach gut 5 Stunden dann wieder Strom hatten, war das dennoch wie ein kleines Wunder. Wie schön – einfach das Licht an und aus schalten. Wie wunderbar – telefonieren, im Internet surfen, am Rechner arbeiten. All diese Dinge, die sonst einfach immer gehen und über die man sich nie Gedanken macht. Außer, sie sind plötzlich nicht möglich. Einfach so. Weil der Strom weg ist.